Kategorie: "Besatzungszeit"
Rote Armee: Bericht über die Situation in der Stadt WEITRA Mai 1945
Oktober 14th, 2023WEITRA
Bis 1938 war die Stadt Weitra Bezirkszentrum. Nach der Besetzung Österreichs durch deutsche Truppen wurde das Bezirkszentrum in die Stadt Gmünd verlegt. Die Stadt hat 1.700 Einwohner, außerdem leben hier 500 Auswärtige, Evakuierte/Deutsche aus Essen und Duisburg, Österreicher aus Wien und Niederösterreich.
Stadtleben.
In der Stadt gibt es keine großen Unternehmen. Es gibt eine Molkerei auf Partnerschaftsbasis, ein Getreidelagerhaus, eine Brauerei, 4 Mühlen (3 davon sind in Betrieb), eine Schmiede, eine Metallverarbeitungs- und eine Glasbläserwerkstatt.
Die Versorgungseinrichtungen in der Stadt sind gut ausgebaut: Strom, Wasserversorgung, Kanalisation, ein Badehaus und ein Friseur sind in Betrieb.
9 Geschäfte sind geöffnet und handeln. Aber ihre Waren gehen bereits zur Neige und es werden keine neuen geliefert. Das Stadtkino funktioniert immer noch nicht. Die Stadt verfügt über ein altes Geld-Kartensystem, das in den kommenden Tagen durch ein neues ersetzt werden soll.
Gmünd [oder doch Weitra?] verfügt über 334 Hektar Ackerland. In privater Landnutzung 200 Hektar, 103 Hektar gehören dem Fürsten Fürstenberg. Die Saatfläche ist nahezu vollständig bewirtschaftet. Die Hauptprodukte sind: Kartoffeln, Roggen und Hafer.
Die Stadt verfügt über folgende Lebensmittelreserven: 10-12 Waggons Weizen (100-120 Tonnen) und eine gewisse Menge Hafer. Das Getreide wurde zum Mahlen auf drei Arbeitsmühlen verteilt.
Es gibt eine Gemeindesparkasse. Eine Zivilpolizei ist organisiert.
Der Unterricht begann in der städtischen Schule, die aus 10 Klassen besteht aus (6 Klassen der „öffentlichen Schule“(1) und 4 Klassen der „Hauptschule“). Etwa 400 Kinder aus der Stadt und den umliegenden Dörfern lernen an dieser Schule.
Die Schulleiterin der Schule ist ELISABETH MORENGEL. Sie entfernte alle faschistischen Lehrbücher und stellte die Lehrmethoden wieder her, die vor 1938 existierten.
An der Schule werden folgende Fächer unterrichtet: Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Muttersprache, Englisch, Gesang, Zeichnen, Handwerk, Heimatgeschichte und Gymnastik. Geschichte und politische Geographie werden mangels neuer Lehrbücher nicht unterrichtet.
Es gibt 6 Lehrer, die unterrichten. Der ehemalige Schulleiter – Mathematiklehrer FRANZ HUBER – altes Mitglied der faschistischen Partei /hat ein goldenes Parteiabzeichen/ wurde inzwischen seines Amtes enthoben, unterrichtet aber weiterhin. Er wurde durch die Lehrerin ELISABETH MORENGEL (3) ersetzt. Lehrer für Physik, Mathematik und Sport ist NORBERT WERNER, ebenfalls Mitglied der faschistischen Partei. Der Rest der Lehrer ist unparteiisch.
Kommunalverwaltung.
Es wurde eine Stadtregierung gebildet, der sechs Sozialdemokraten und sechs Mitglieder der Christlich-Sozialen Partei angehören.
Der Bürgermeister von Weitra ist HANS SARTORI, seit 1909 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Bis 1934 war er Vizebürgermeister. Von Beruf ist SARTORI Handwerker [Pfeifenschneider].
Der stellvertretende Bürgermeister, DR. FELIX FREUND, ist zugleich Referent für die Sparkassen- und Schulangelegenheiten. Dr. Freund ist Mitglied der Christlich-Sozialen Partei und ehemaliger Bezirksrichter. Er genießt große Autorität in der Stadt.
Darüber hinaus umfasst die Selbstverwaltung 10 Berater zu verschiedenen Themen:
HANS MAXA ist für das Wohnungswesen zuständig. Allen Bewohnern wird Wohnraum zur Verfügung gestellt.
JOSEPH WEINBERGER ist für die Sauberkeit der Straßen und den Betrieb der Kanalisation verantwortlich. Die Straßen werden regelmäßig gefegt und gewässert. Das Abwassersystem ist in einwandfreiem Zustand.
FRANZ SCHUSTER ist für den Betrieb der Wasserversorgungsanlage verantwortlich. Die Wasserversorgung funktioniert.
HANS SANDL ist für den Betrieb des Kraftwerks verantwortlich. Er ist Kraftwerksmechaniker und war in der Vergangenheit ein aktiver Faschist. Die Kontrolle über ihn ist etabliert, aber bisher gibt es niemanden, der ihn ersetzen könnte, weil es keinen Spezialisten auf diesem Gebiet gibt.
Die Polizei wird von Dr. HEINRICH FEUCHT, ehemaliger Bezirksrichter, geleitet. Nach der Ankunft der Deutschen in Österreich wurde er von seinem Amt entfernt. Die Stadt verfügt über eine Polizeitruppe von 12 Polizisten.
FRANZ KRAUS ist für die Stadtfinanzen zuständig.
JOSEPH POYS ist für die Ernährung der Bevölkerung verantwortlich. In der Stadt gibt es 4 Bäckereien, von denen 2 den Bedarf der Armee und 2 den für die Bevölkerung decken. Die Stadt verfügt über 140 Tonnen Weizen und 100 Tonnen Roggen.
JOHANN SCHWARZINGER ist für die soziale und sanitäre Sicherheit zuständig.
Der Bauer ANTON FLOH ist für die Landwirtschaft verantwortlich. Er hat keine agronomische Ausbildung und ist daher mit seinem Amt überfordert.
Bis vor Kurzem war die Kommunalverwaltung nicht mit den Zentralbehörden verbunden. Auch von der übergeordneten Stelle – in der Stadt Gmünd – erhält sie keine Weisungen.
Politische Organisationen.
Die faschistische Organisation, die die Stadt und die umliegenden Dörfer umfasste, zählte bis zu 360 Mitglieder, darunter auch diejenigen, die zur Armee eingezogen wurden. In der Stadt leben 73 Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei. Nur 3 aktive Nazis konnten entkommen (Maria BÜCHLER, ZENGERN und STOCKHAMMER).
Einige ehemalige Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei bekleiden noch immer verantwortungsvolle Positionen. So leitete beispielsweise ein gewisser ALOIS PFEIFER, seit 1938 Mitglied der Nationalsozialistischen Partei, das öffentliche Getreidelager [Lagerhaus]. Der Bürgermeister des Dorfes Maißen ist der Altfaschist ERNST SCHUSTER, und der Bürgermeister von Harbach ist der Faschist HAIDVOGEL. Dort lebt auch der ehemalige Gendarmerie-Postenführer RECHMAN, der für seine Misshandlung ausländischer Arbeitskräfte bekannt ist.
Es gibt noch immer aktive Faschisten, wie das Mitglied der nationalsozialistischen Partei, TRUBNIK, der eine große Zahl antifaschistischer Einwohner verriet, von denen viele erschossen wurden.
In Weitra gibt es Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei und Mitglieder der Christlich-Sozialen Partei. Parteiorganisationen sind jedoch noch nicht institutionalisiert.
Die Stimmung der Bevölkerung.
Die Bevölkerung ist der Roten Armee gegenüber durchaus loyal und bedankt sich bei ihr für die Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Unterdrückung.
Einige Bewohner äußern ihre Verwunderung darüber, dass es weiterhin viele aktive Faschisten gibt, die Verbrechen begangen haben und friedlich in der Stadt leben können und keiner Repression ausgesetzt sind.
Die Gefühle der Stadtbewohner werden durch die Aussage des Tierarztes belegt.
THEODOR FRANTIŠEK:
„Trotz meiner 80 Jahre arbeite ich unermüdlich. Das Wissen, dass wir frei von den verdammten Nazis sind und für unser Heimatland Österreich arbeiten können, gibt mir Mut und Kraft. Ich möchte trotz meines fortgeschrittenen Alters noch mehr arbeiten.“
Der Leiter der 7. Abteilung der politischen Abteilung der 46. Armee, Oberstleutnant A. Grekul /GREKUL, 30. Mai 1945
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Dies ist ein Ausschnitt aus dem umfassenderen Bericht "Über die Situation in der Stadt SCHWERTBERG, WEITRA und PERG."
1) Volksschule. Deren Direktor ab 1943 war Gustav Horny gewesen, Ortsgruppen-Stellvertreter der NSDAP. Er tötete bei Herannahen der Roten Armee am 10. Mai 45 seine Frau Ludmilla und sich selbst. Die Tötung seiner 23-jährigen Tochter Edith misslang ihm, sie überlebte schwer verletzt den Pistolenschuss in den Hinterkopf.
2) Direktor der Hauptschule von 1938 bis 1945
3) Provisorische Leiterin 1945