Kategorie: "Kafka"

Denkschrift "Löwy & Winterberg" 1928: kopier-, editier- und durchsuchbar

Juli 31st, 2024

Das fast hundert Jahre alte Jubiläumsbuch der Holzgroßfirma „Löwy und Winterberg“ aus Prag kann ein guter Einstieg in die Geschichte der damaligen Zeit sein. Wenn man versucht, das Gebotene durch Hintergrundinformation auszuleuchten. Die vorgelegte erweiterte Ausgabe der „Denkschrift“ liefert eine erste Hilfestellung dazu.
Im ersten Teil wird die Originalschrift wiedergegeben. Jetzt in kopier-, editier- und durchsuchbarer Textform! Manchmal wurde die Schreibweise der heutigen angepasst, aber sonst nichts verändert.
Im zweiten Teil wird zuerst die nur noch überraschend kurz dauernde Geschichte der 1928 florierenden Firma bis zu ihrem wirtschaftlichen Ruin 1935 fertig erzählt. Danach findet sich in Art eines Lesebuches Zusatzmaterial, das zu tieferem Verständnis beitragen soll. Unglaubliche, manchmal kuriose Zusammenhänge tun sich auf: etwa, wenn man erfährt, dass es einen lebendigen Bericht des „rasenden Reporters“ Egon Erwin Kisch über die Fahrt auf einem Floß unserer Firma von Prag nach Sachsen aus dem Jahr 1911 gibt.

Und das allerteuerste Fundstück in dieser Denkschrift ist das Foto jener riesigen Motorkreissäge von Löwy & Winterberg, die Franz Kafka bei seinem längeren Aufenthalt 1921 in Plan an der Luschnitz das Leben verfluchen ließ!

Erstaunlich war auch, dass Löwy & Winterberg es waren, welche die Flößerei an Salza und Enns aufbauten und lange Zeit betrieben. Ein Foto aus der Denkschrift zeigt ein Filmteam, das ein Floß bei der Passage einer gefährlichen Stelle der Salza filmt.

Denkschrift "Löwy & Winterberg" 1928: kopier-, editier- und durchsuchbar
Karl Köfinger dreht 1927 eine Doku

Eine Kopie des Films mit unterlegter Begleitmusik ist auf YouTube zu finden:

Denkschrift "Löwy & Winterberg" 1928: kopier-, editier- und durchsuchbar
1927. Die Kamera auf dem Floß!

Ab in die Geschichte!

Denkschrift zur 70. Wiederkehr des Gründungstages der Firma Löwy & Winterberg, Holzhandlung - Dampfsägewerke in Prag. (1858-1928).

Hier die bisherige Version in einfacher Scan-Kopie:

Denkschrift zur 70. Wiederkehr des Gründungstages der Firma Löwy & Winterberg, Holzhandlung - Dampfsägewerke in Prag. (1858-1928).

Der verschlossene Buchhalter von Löwy & Winterberg in Planá

April 24th, 2024

Franz Kafka schrieb in einem Brief im Sommer 1922, als er in Plana an der Luschnitz (Lainsitz) auf Sommerfrische war, dass ihn der Lärm des nahegelegenen Sägewerkes dazu bringe, sein Leben zu verfluchen, wenn dort die Kreissäge in Betrieb genommen wird. Weiters schrieb er: 

"... ich kenne flüchtig den dortigen Buchhalter, sogar das gibt mir einige Hoffnung, er weiß zwar nicht, dass mich seine Kreissäge stört und kümmert sich auch sonst nicht um mich und ist überhaupt ein verschlossener Mensch und wenn er auch der offenste Mensch wäre, er könnte die Kreissäge nicht einstellen, wenn Arbeit für sie ist, aber ich schaue verzweifelt aus dem Fenster und denke doch an ihn."

Von einem Stadtchronisten Planas, Josef Kepka, erfahren wir mehr über den verschlossenen Buchhalter:

Vom 23. Juni bis 19. September hielt sich Franz Kafka zusammen mit seiner Schwester Ottla Davidová und ihrer Tochter Véra in Planá nad Lužnice im Haus von František Hnilička Nr. 145 (heute Přičná-Straße) auf... Diese Sommerwohnung wurde wahrscheinlich vermittelt von ihrem Onkel Löwy mütterlicherseits, der mit seinem Partner Wirtenberg [Winterberg!] in Plana, im Bereich des heutigen Fußballplatzes bis zum Fluss einen Platz zur Montage von Flößen hatte. Neben den Veselý-Nachbarn, die neben Hniličkas Haus wohnten, traf Kafka auch den damaligen Buchhalter des Sägewerks, Herrn Brabenec, dessen Hobby ursprünglich Salonzauberei und später Spiritualismus war. Obwohl Kafkas Krankheit, die fortschreitende Lungentuberkulose, bereits nahezu unheilbar war, fühlte er sich hier wohl. In seinen Notizen schrieb er, dass er eine Stunde oder länger Holz hacken könne, ohne müde zu werden. In Planá vollendete Kafka sein erstaunlichstes Werk „Das Schloss“ und die jenseitige Kurzgeschichte „Forschungen eines Hundes“, für welche der Hund seiner Familie, mit dem er oft in der Nachbarschaft spazieren ging, wahrscheinlich Modell war.  

Bei der Firma Löwy und Winterberg waren drei Herren aus der Familie Brabenec in höheren Positionen: Josef Brabenec ab 1880 sowie Gustav Brabenec ab 1906 im Zentralbüro in Prag und Rudolf Brabenec ab 1917 als Beamter in einem tschechoslowakischen Betrieb. Wir können also davon ausgehen, dass Rudolf unser Mann ist. Wir können neben dem Namen auch ein Foto des verschlossenen Bekannten Kafkas in Plana beisteuern:

Rudolf Brabenec

Hier noch Fotos von Vater (?) Josef und Bruder (?) Gustav Brabenec:

Josef Brabenec

Gustav Brabenec

 

Quellen

Werner Haas: Franz Kafka, Briefe und Tagebücher

Markéta Vysloužilová: Planá nad Lužnicí (2004)

Denkschrift zur 70. Wiederkehr des Gründungstages der Firma Löwy & Winterberg, Holzhandlung - Dampfsägewerke in Prag. (1858-1928)


Franz Kafkas Nervensäge in Planá 1922

April 23rd, 2024

Mein Zimmer in Planá liegt einem Sägewerk gegenüber, das zeitweise erträglich ist, dann aber, wenn es die Kreissäge arbeiten lässt, einen das Leben zu verfluchen zwingt!

Kafka sinngemäß in einem Brief aus Planá an der Lainsitz Anfang Juli 1922

Hier sind Originalfoto von Sägewerk und Kreissäge der Firma Löwy & Winterberg in Planá nad Lužnicí, deutsch Plana an der Luschnitz aus einer Selbstdarstellung der Firma 1928:

Fahrbare Motor-Kapp-Säge

 Totalansicht mit Krummholz-Lagerplatz

Der ganze betreffende Briefausschnitt:

An Felix Weltsch

Lieber Felix

[....] Der Lärm hat auch etwas Fascinierend-Betäubendes; wenn ich - ich habe glücklicherweise manchmal zwei Zimmer zur Auswahl - in dem einen Zimmer sitze und, so wie Du es auch beklagst, einer Säge [einem Sägewerk] gegenüber sitze, die zeitweise erträglich ist, dann aber, wenn sie die Kreissäge arbeiten läßt, in der letzten Zeit geschieht das fortwährend, einen das Leben zu verfluchen zwingt, wenn ich dann in diesem Unglückszimmer sitze, kann ich nicht fort, ich kann zwar ins Nebenzimmer gehn und muß es auch, denn es ist nicht auszuhalten, aber übersiedeln kann ich nicht, nur hin und her gehn und etwa in dem zweiten Zimmer feststellen, dass auch dort Unruhe ist und vor dem Fenster Kinder spielen. So ist die Lage.

Immerfort hoffe ich, dass, wie es einmal schon geschehen ist, die Kreissäge plötzlich zu arbeiten aufhören wird, ich kenne flüchtig den dortigen Buchhalter, sogar das gibt mir einige Hoffnung, er weiß zwar nicht, dass mich seine Kreissäge stört und kümmert sich auch sonst nicht um mich und ist überhaupt ein verschlossener Mensch und wenn er auch der offenste Mensch wäre, er könnte die Kreissäge nicht einstellen, wenn Arbeit für sie ist, aber ich schaue verzweifelt aus dem Fenster und denke doch an ihn.

Oder ich denke an Mahler, dessen Sommerleben irgendwo beschrieben war, wie er täglich um halb sechs, er war damals sehr gesund und schlief ausgezeichnet, im Freien badete und dann in den Wald lief, wo er eine "Komponier-Hütte" hatte (das Frühstück war dort schon vorbereitet) und bis ein Uhr mittag dort arbeitete und die Bäume, die später in der Säge so viel Lärm machen, in Mengen still und lärmabwehrend um ihn standen. (Nachmittag schlief er dann und erst von vier Uhr ab lebte er mit seiner Familie und nur selten hatte seine Frau das Glück, dass er abend etwas von seiner Morgenarbeit verriet.)

Aber ich wollte von der Säge erzählen. Ich allein komme von ihr nicht los, es muß die Schwester kommen und unter unglaublichen Bequemlichkeitsopfern ihrerseits das andere Zimmer mir einräumen (das allerdings auch keine Komponierhütte ist, aber davon will ich jetzt nicht sprechen), nun bin ich für eine Zeit die Säge los. So müßte man Dich auch einmal in ein stilles Zimmer hinüberführen. [...]

Werner Haas: Franz Kafka, Briefe und Tagebücher

Zu Löwy und Winterberg in Planá

„Gegen Ende des Jahres 1911 wurde in Planá an der Luschnitz eine nach dem alten Boucherie-Verfahren [wiki] mit Kupfervitriol arbeitende Holzimprägnieranstalt mit den dazugehörigen Grundstücken erworben. Das Imprägnierwerk wurde niedergelegt und an dessen Stelle ein Sägewerk errichtet, welches infolge seiner günstigen Lage am flößbaren Flußlaufe der Luschnitz einerseits und an der Staatsbahnlinie Prag-Tábor andererseits, mit den qualitativ hochwertigen, feinjährigen, südböhmischen Hölzern sowohl per Bahn als auch per Wasser versorgt werden konnte. Das Werk wurde mit 2 modernen Schnellgattern und den nötigen Hilfsmaschinen ausgestattet.“

Denkschrift zur 70. Wiederkehr des Gründungstages der Firma Löwy & Winterberg, Holzhandlung - Dampfsägewerke in Prag. (1858-1928) S. 22

Die beiden Bilder stammen aus dieser Denkschrift.

Die Firma Löwy und Winterberg bei Kafka

Oktober 26th, 2011

Die Firma ist heute zumindest noch aus den Briefen und Tagebüchern Franz Kafkas bekannt. So schrieb er im Jahr 1913 an Felice Bauer u.a.:

"Wer hat denn in Prag schon Parlographen? Löwy und Winterberg ist freilich eine große Fa., die drittgrößte Holzhandlung Böhmens soviel ich weiß; ich hatte auch schon geschäftlich mit ihr zu tun. Zwing ihr nur den Parlographen auf, Du liebste Geschäftsfrau."

Der Parlograph war ein gerade erst eingeführtes, modernstes Diktiergerät, das auf einer Wachswalze Ton aufnehmen und wieder abspielen konnte, und Löwy und Winterberg war wegen seiner Größe einer der wenigen potentiellen Abnehmer in Prag.

Ein Satz aus seinem Tagebuch vom 11. 11. 1911 diente vielen Germanisten zur Analyse Kafkas:

"Die von ihren Arbeitschürzen besonders hinten fest umspannten Mädchen. Eine bei Löwy und Winterberg heute vormittag, bei der die Lappen der nur auf dem Hintern geschlossenen Schürze, sich nicht wie gewöhnlich aneinanderfügten, sondern über einander hinweggingen, so dass sie eingewickelt war wie ein Wickelkind."

Und man findet bei Kafka eine Beschreibung des Chefs der Firma im Tagebucheintrag ein paar Wochen vorher:

"heute früh bei Löwy u. Winterberg. Wie sich der Chef mit dem Rücken seitlich in seinen Lehnstuhl stemmt, um Raum und Stütze für seine ostjüdischen Handbewegungen zu bekommen. Das Zusammenspiel und gegenseitige Sichverstärken des Hände- und Mienenspiels. Manchmal verbindet er beides, indem er entweder seine Hände ansieht oder sie zur Bequemlichkeit des Zuhörers nahe beim Gesicht hält. Tempelmelodien im Tonfall seiner Rede, besonders beim Aufzählen mehrerer Punkte führt er die Melodie von Finger zu Finger wie über verschiedene Register."

Wir werden später erfahren, wer dieser Chef gewesen sein könnte.

Das ehemalige Dampfsägewerk von Löwy und Winterberg in Joachimstal: Wie ich darauf gestoßen bin.

Oktober 24th, 2011

Das Dampfsägewerk von Löwy und Winterberg in Joachimstal ist eine Geschichte, die mich nun schon seit Jahren nicht loslässt und immer wieder neu beschäftigt. Vielleicht komme ich weiter, wenn ich anfange, darüber öffentlich zu schreiben, vielleicht finden sich Leute, die mir weiterhelfen können.

Im Juli 2002 lernte ich den oberen Lauf der Lainsitz kennen. Mitten im Nordwald entspringt der Bach, fließt hinüber ins Tschechische, kommt in Joachimstal wieder zurück nach Österreich. Ich hatte gehört, dass dort früher einmal mehr Betrieb gewesen sein soll, aber heute stehen in Joachimstal nur noch ein paar Häuser, erdrückt von Wald, Wald, Wald.

Wenn man von Harmanschlag aus auf der schmalen, einsamen Landesstraße den Ort erreicht, empfängt einen die erwartete Idylle. Man überquert den Bach, eine Lichtung tut sich auf, links ein schönes Haus, das fast wie ein altes Amt wirkt, rechts eine Wiese, auf der Pferde grasen.

Irritierend sind vielleicht ein wenig die vielen Terassen, Steinblöcke und Mauerfundamente auf der Pferdekoppel rechts:

Für meine Website lainsitz.prinzeps.com recherchierte ich immer ein wenig die Geschichte der Orte, an denen die Lainsitz vorbeizog, so auch in Joachimstal.

Die "Heimatkunde des Bezirkes Gmünd" aus dem Jahre 1986 widmet dem Dorf eine halbe Seite. Gründung 1770: Errichtung einer Glashütte durch Joachim Fürst zu Fürstenberg. Zwanzig Häuser, solange die Glaserzeugung florierte, fünf Häuser, nachdem die Hütte zugesperrt worden war. Der letzte Satz des Beitrages sollte ein erster, indirekter Hinweis auf die Geschichte des zerfurchten Grundstückes und der Beginn meiner langen Suche werden : "1964 wurde das große Sägewerk des Verbandes der Vereinigten Österreichischen Waldbesitzer stillgelegt." Das große Sägewerk?

Ich habe damals viel nach so einem Verband gegoogelt, aber nichts gefunden. Der richtige Name wäre "Genossenschaft österreichischer Waldbesitzer, Holzwirtschaftsbetriebe, registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung" gewesen. Zu diesem Namen hätte ich wenigstens Seiten zu dem anscheinend wichtigen internationalen Urteil gefunden, welches diese Firma im Jahr 1954 erstritten haben soll, und wäre vielleicht schneller weiter gekommen.

Zum Glück gab es damals schon das wunderschöne, dunkelblaue Büchlein "Die Lainsitz. Natur- und Kulturgeschichte einer Region" von Knittler und Komlosy, wo letztere in ihrem Artikel über die Mühlen, Sägen und Hammerwerke auch ein Sägewerk in Joachimstal erwähnt:

"Neben den kleinen bäuerlichen Sägen, die vornehmlich für den Eigenbedarf arbeiteten oder Lohnschnitte für einen benachbarten Kundenkreis durchführten, haben sich - sobald die Eisenbahn den Transport ermöglichte - einige größere holzverarbeitende Betriebe entwickelt, die von Großwaldbesitzern bzw. Holzhandelsunternehmen gegründet wurden. Die beiden größten Betriebe dieser Art stellten das - allerding nicht an der Lainsitz gelegene - 1921 gegründete Sägewerk der Firma Pfleiderer in Karlstift-Rindlberg, die den ausgedehnten Waldbesitz der ehemaligen Herrschaft Großpertholz erworben hatte, sowie das Sägewerk des Prager Holzhandlungsunternehmens Löwy & Winterberg in Joachimstal dar." (Seite 121)

Löwy & Winterberg, ein Prager Holzhandlungsunternehmen, hat hier bei uns, ganz hinten in Joachimstal, ein großes Sägewerk gehabt?

"Letzteres geht auf eine Gründung der Prager Firma Bubeniček in Schwarzau aus dem Jahr 1882 zurück; 1924 wurde das Werk nach Joachimstal transferiert. Obwohl unmittelbar am Ufer der Lainsitz gelegen, wurde es auch hier mit Dampfkraft betrieben - wahrscheinlich deshalb, weil der Fluß so kurz nach dem Ursprung noch zu wenig Kraft für den Antrieb eines Werkes hatte, das mit bis zu 100 Beschäftigten zu den größten des Oberen Waldviertels zählte."

Das zu lesen hat mich schon umgehauen, dass hier am Ende der Welt vor gar nicht so langer Zeit noch hundert Leute gearbeitet haben sollen! Aber der letzte Satz von Komlosy zu diesem Sägewerk hatte es noch mehr in sich: "Im Gefolge der Arisierung gelangte es nach dem Krieg an den Österreichischen Waldbesitzerverband, der das Unternehmen im Jahr 1964 einstellte." (S. 122)

Seit ich diesen Satz gelesen habe, will ich wissen, was da hinten wirklich passiert ist.