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Fadenscheiniger Strafakt / Straflos in Bad Mergentheim?
Der Akt zum Volksgerichtsverfahren gegen Adolf Neugschwandtner1 wirkt befremdlich. Seine Aktenzahl stammt aus dem Jahr 1955, zehn Jahre „Danach“, das Verfahren wurde damals neu aufgenommen, aber anscheinend nur, um es wegen der in der Zwischenzeit geltenden Amnestien und Gesetzesänderungen gleich wieder beenden zu können. Ohne dass man Neugschwandtner jemals aufgestöbert, geschweige man ihm den Prozess gemacht hätte! Eine gewisse innerfamiliäre Ungerechtigkeit liegt ganz besonders in diesem Fall, denn der Bruder Adolfs, Sepp, war zwar nicht unschuldig, bewegte sich jedoch nicht annähernd in den NS-Sphären von Adolf, versteckte sich nicht nach dem Krieg, stellte sich vielmehr seiner Verantwortung und wurde schließlich zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, währenddessen Adolf untertauchte, 1955 sozusagen amtlich amnestiert wurde und keinen einzigen Tag ins Gefängnis musste. Es wurde nie eine gerichtliche Untersuchung durchgeführt, in der etwaige Vergehen durchleuchtet worden wären. Er wäre allein wegen seines hohen SA-Ranges in der Verbotszeit zu einer längeren Haftstrafe verurteilt worden. Nach unüberprüfbaren Informationen ist er unter dem Namen „Adolf Neumann“ nach Deutschland geflüchtet und konnte dort bis zu seinem Tod (etwa um 1975) unerkannt und unbehelligt in der Gegend von Bad Mergentheim mit seiner Familie leben.
Aber wieder zum Volksgerichtsakt Vg 8e Vr 105/55:
Die Staatsanwaltschaft Wien ersuchte am 19. April 1955 um folgende Erhebungen:
Beischaffung der Strafkarte, Leumundserhebungen am letzten Wohnort, Anfrage an das BMI, Abt. II und „Widerruf der Ausschreibung“.
Schon am 3. Mai 1955 widerrief das Landesgericht für Strafsachen Abt. VG 8 die Ausschreibung im staatspolizeilichen Fahndungsblatt 1119/46 „über Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 19.04.1955. (letzte Anschrift: Krems a.d.D., Dienstlstraße 14.)“.
Dann ist im Akt eine Karte, welche dem Gauakt bei der Zusendung durch das BMI an das Volksgericht beigelegt war:
„In der Anlage wird der Gauakt 146.367 (21 Blatt) betr. Adolf Neugschwandtner (20.4.1901) zur Einsichtnahme mit dem Ersuchen um ehesten Rückschluss übermittelt.
In den Unterlagen bei der Polizeidirektion Wien, Abt. I, unter Zl ZE 34.089/46, wird der Genannte als Angehöriger der österr. Legions-SA seit Sept. 1925 als Obersturmbannführer und Mitglied der NSDAP (Migl.Nr. 52.118) seit März 1925 beschrieben. 13. Mai 1955“
Am 3. Oktober 1955 schrieb schließlich die Staatsanwaltschaft Wien an den Untersuchungsrichter im Landesgericht für Strafsachen,
„dass kein Grund zu einer weiteren Verfolgung des Adolf Neugschwandtner wegen §§ 10, 11 VG 1947 gefunden wird (§ 90 StPO, Entschließung des Bundespräsidenten vom 19.9.1955). Beigefügt wird, dass der Adolf Neugschwandtner betreffende Gauakt vom Bundesministerium für Inneres, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, zurückbehalten wurde.“
Im Akt liegt ein 25-seitiges Konvolut mit älteren Anzeigen und Schriftstücken ein.
Die ältesten Dokumente stammen vom 25. März 1946, nicht ganz ein Jahr nach der Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus. Ein Herr Freis vom Referat I/C in der Polizeidirektion Wien notiert unter dem Betreff Alois Neugschwandtner:
„Erhebungsbericht.
Nach Aussagen des SA-Sturmbannf. Amann war der Posten des Führers der SA-Brigade 92 von SA-Brigadef. Adolf Neugeschwandtner [so!] besetzt.
Die Erhebung ergab, dass N. am 20.4.1901 in Storwitz [richtig Strobnitz] bezw. Grotzen [richtig Gratzen] geb., gesch., ggl., als SA-Brigadef. in Wien I., Reichsratstrasse 8/32 gemeldet, im Hause als SA-Brigadef. bekannt und geflüchtet ist.“
Am selben Tag schreibt Freis noch eine Anfrage an das BMI, Abt. 2, betreffend Adolf Neugeschwandtner, ob dort Unterlagen über dessen Verhältnis zur NSDAP vorhanden sind, man führe Erhebungen wegen § 10 und 11 Verbotsgesetz.
Am 2. April 1946 gibt die Polizeidirektion Wien für einen Alois Neugeschwandtner den Festnahmebefehl mit den bekannten Geburtsdaten aus.
Am 10. April, kaum eine Woche später, folgt das Fahndungsersuchen an das Staatsamt für Inneres, Abt. 2. Alois Neugeschwandtner solle im staatspolizeilichen Fahndungsblatt zur Verhaftung ausgeschrieben werden, da er im Verdacht stehe, sich während der Verbotszeit des Hochverrats schuldig gemacht zu haben. Dem Ersuchen folgte der Eintrag im Fahndungsblatt 11/1946 mit der Nummer 1119. (Siehe älteren Beitrag.)
Eine zweite Anzeige erfolgte am 8. März 1947, diesmal von der Kriminalabteilung des Magistrates der Stadt Krems. In dieser sind erstmals Name und Geburtsort richtig!
„Nr. 789a46 / Ra.
Anzeige wegen Verbotsgesetz §§ 10,11,12.
Bezug: ohne.
Anzeige. 1. Nationale:
Neugschwandtner Adolf, am 20.4.1901 in Strobnitz, - Bezirk Budweis, CSR. geboren, zuständig nach Langschlag, Bezirk Zwettl, N.Ö., österr. Staatsbürger, hauptamtlicher SA.-Führer, in Krems a.d. Donau, Dienstlstrasse 14 wohnhaft gewesen, derzeit unbekannten Aufenthalt, weitere Nationale unbekannt.
Tatgeschichte.
a) Darstellung der Tat:
Adolf Neugschwandtner war SA.Brigadeführer der SA.-Gruppe Donau Wien und ist Träger des Blutordens der NSDAP. sowie der Erinnerungsmedaille an den 13. März 1938.
b) Beweismittel:
Adolf Neugschwandtner ist am 14.1.1939 von Wien X., Fasergasse 23-29 nach Krems a.d.Donau zugezogen und war bis zum Jahre 1940 in Krems a.d. Donau, Dienstlstrasse 14 wohnhaft. Laut Vermerk beim polizeilichen Meldeamt der Stadt Krems war der Genannte hauptamtlicher SA.-Führer und ist am 28.5.1940 nach Stammersdorf zur Wehrmacht eingerückt.
Über eine illeg. Parteizugehörigkeit und Tätigkeit des Neugschwandtner konnte nichts ermittelt werden, da derselbe während seines Aufenthaltes in Krems in den Kanzleiräumen der SA.-Brigade wohnhaft war und daher sehr wenig unter der Bevölkerung bekannt war. Als einzige Zeugin konnte die in Krems a.d. Donau, Dienstlstrasse Nr. 6 wohnhafte Marie Hasenzagel ausgeforscht werden, welche für kurze Zeit während der Kriegsjahre Aufräumungsarbeiten in den Kanzleiraumen der SA.-Brigade durchführte und dadurch den Beschuldigten näher kannte. Dieselbe gab nach Befragen an, dass Neugschwandtner der SA.-Gruppe Donau-Wien IV. (Prinz Eugenstraße 36) angehörte, hauptamtlicher SA.- Führer war und den Blutorden der NSDAP sowie die Erinnerungsmedaille an den 13. März 1938 besaß.
Da Adolf Neugschwandtner derzeit unbekannten Aufenthaltes ist, wurde am 8. März 1947 von ha. dem Staatsamt für Inneres ein Fahndungsersuchen zwecks Verhaftung des Genannten vorgelegt.
An den Hr. Bürgermeister der Stadt Krems a.d. Donau in Krems / Donau. Vorstehende Anzeige wird zur gefälligen Kenntnisnahme und mit der Bitte um weitere Veranlassung überreicht.
Der Sicherheitsreferent: [gez.] Leiter der Kripo.Abt.: [gez.]“
Dem erwähnten Ersuchen wurde durch den Eintrag im Fahndungsblatt Nr 9, StaPo 1947 unter der Nummer 754 entsprochen. (Siehe älteren Beitrag.)
Viel mehr ist nicht im Akt vorhanden. Mit der letzten Erwähnung im Völkischen Beobachter am 28. August 1944 verliert sich die Spur Adolf Neugschwandtners. Der Anlass, eine „Kundgebung des Kampfwillens“ in St. Pölten, liest sich wie der letzte Akt einer Wagnerschen Oper:
„In zahlreichen Stürmen waren die Männer der Stadtortsgruppen St. Pöltens zum ersten Appell der Kriegshilfsmannschaften auf dem Trabrennplatz angetreten. Tausende deutscher Männer waren dem Rufe gefolgt und stellten sich in Reih und Glied. Auch wegen ihres Alters nicht mehr teilnahmepflichtige Männer und Körperbehinderte waren erschienen. So gestaltete sich der Aufmarsch der Kriegshilfsmannschaften zu einer Demonstration der Einsatzbereitschaft aller deutschen Männer von St. Pölten. Kreisleiter Mühlberger war in Begleitung von SA.-Brigadeführer Neugschwandtner erschienen, um zu den Männern dieser Kampfgemeinschaft der Heimat zu sprechen.“ (Völkischer Beobachter, 28. August 1944)
Der große SA-Brigadeführer erscheint noch einmal bei der Mobilisierung der Alten und Behinderten für den totalen Krieg.3 Vielleicht waren auch Jugendliche und halbe Kinder dabei, so wie es beim Volkssturm üblich war. Schickt noch die letzten als männlich erkennbaren Gestalten in den Krieg verschwindet danach im Nebel der Endzeitwirren.
Falls jemandem weitere Hinweise bekannt sind, so ersucht der Autor um Zusendugen an hp@prinzeps.com oder um einen Kommentar gleich hier unterhalb des Artikels.
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1) Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Landesgericht für Strafsachen, Vg 8e Vr 105/55.
2) Ebd., Blatt 31.
3) Das Bild eines solchen Sturmes (ohne Zusammenhang mit der St. Pöltner Kundgebung) zur Veranschaulichung in der Wiener Illustrierten.
