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Mit 24 Jahren schon warf Adolf Neugschwandtner Steine auf Juden
17. August 1925. Adolf Neugschwandtner warf zusammen mit drei anderen Steine auf einen Schnellzug, in welchem er Juden vermutete. Sieben Fenster zersplittert, eine Person verletzt. Milde Strafe: 4 Wochen auf Bewährung.
Nach Zusammenstößen mit der Polizei bei der Demonstration gegen die Eröffnung des 14. Zionistenkongresses in Wien lassen er und drei andere junge „Deutsche Turner“ aus Himberg faustgroße Steine in die Fenster eines vorbeifahrenden D-Zugs fliegen, weil sie denken, dahinter säßen hauptsächlich Juden auf der Heimfahrt.
Die Eröffnung des 14. Internationalen Zionistenkongresses in den Wiener Sophiensälen war für den Abend des 17. August 1925 festgesetzt. Der „Deutsche Volkstag“, eine von deutschnationalen und christlichsozialen Vereinigungen geplante Gegendemonstration, die ab 7 Uhr abends von der Votivkirche ausgehend über den Ring führen sollte, wurde von der Polizei untersagt.
Man verwies unter anderem auf Tumulte und Gewalttätigkeiten, die erst drei Tage davor eine Anti-Zionistenkongress-Veranstaltung der NSDAP in Meidling hervorgerufen hatte. Und man verkündete, dass man umfassende Vorkehrungen getroffen habe, um zu verhindern, dass sich größere Menschenmengen in der Gegend der Votivkirche versammeln.[1]
Doch das kümmerte die organisierten Antisemiten nicht. In Massen strömten sie am 17. August in Richtung des angekündigten Versammlungsortes vor der Votivkirche. Auch aus Himberg bei Wien kamen einige „Deutsche Turner“, darunter der 24jährige Adolf Neugschwandtner. Später werden sie behaupten, dass sie nichts von dem Verbot der Versammlung gewusst haben. Sie fuhren mit dem Zug nach Wien, kamen am Ostbahnhof an und wollten mit der „Elektrischen“ zur Votivkirche. Am Ring war kurz vor dem Parlament Halt, die Wache hatte die Straße abgeriegelt, die Turner stiegen aus und versuchten zu Fuß weiterzukommen. Die Polizei ließ aber kein Weiterkommen zu, ging energisch vor und ritt einige Male auch mit blanken Säbeln in die Demonstrantenmenge, um diese zu zerstreuen. Einer der Himberger soll dabei an einem Ohr verletzt worden sein. Der Ring und der Platz vor der Votivkirche wurden zur Kampfzone, es kam zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und erhitzten Antisemiten.
Die Presse berichtete am nächsten Tag über Vorkommnisse, an denen auch die Himberger beteiligt waren: „… bei der Bellaria [knapp vor dem Parlament] machten sich größere Ansammlungen von Demonstranten bemerkbar. Auch diese bestanden zumeist aus jugendlichen Elementen, viele davon in den nun schon typisch gewordenen Windjacken, in Kniehosen und mit starken Stöcken ausgerüstet. Sie bildeten kleine Trupps, zumeist um die dort postierten Wachleute, die sie zu ihrem Standpunkt zu bekehren suchten. Andere wiederum scharten sich um einen Redner, der heftige antisemitische Brandreden hielt. Ähnliche Gruppen standen auch vor dem Parlament. Bisweilen aber kam es auch zu heftigen Zusammenstößen mit der Wache, wenn der Aufforderung ‚nicht stehen zu bleiben und weiterzugehen‘ nicht Folge geleistet wurde. Diese Tumulte endigten dann gewöhnlich mit der einen oder anderen Verhaftung, worauf die Kameraden des Verhafteten nachdrängten und die Wache beschimpften.
Schon in der Umgebung des Parlaments kam es so manchmal zu bedrohlichen Situationen, in denen ein einzelner Wachmann sich einem größeren Trupp gegenübersah und, um sich gegen einen tätlichen Angriff zu schützen, den Säbel zog.“
Insgesamt kam es an diesem Tag bis spät in den Abend zu mehr als hundert Verhaftungen und mehreren Verletzten auf beiden Seiten. Für die nationale „Deutschösterreichische Tages-Zeitung“ war es eine gute Gelegenheit, den Hass gegen die Juden weiter zu schüren und berichtete am nächsten Tag auf der Titelseite sogar von angeblich getöteten Demonstranten. „Blutiger Auftakt zum Zionistenkongress. Polizeiattacken gegen die bodenständige Bevölkerung. Menschenjagd auf der Ringstraße. Zahllose Verwundete.“
Unsere Deutschen Turner machten sich nach den für sie durchaus aufwühlenden Kämpfen erst spät auf den Heimweg. Am Ostbahnhof stießen sie vorgeblich noch auf einen zur Abfahrt bereiten Zug voller „flüchtender Juden“. Im Polizeibericht liest man: „Sämtliche zur selben Zeit am Ostbahnhof anwesenden Fahrgäste, unter ihnen auch die 8 Turner von Himberg, schrien und pfiffen auf die im Schnellzug befindlichen Juden, weshalb einige hiesige Turner von den Letzteren angeblich angespuckt wurden.“
Die Turner kamen mit der Ostbahn kurz nach 23:00 Uhr in Himberg an. Der Großteil von ihnen ging noch ins Gasthaus Stöckl um den heutigen Kampftag abzuschließen. Jemand erzählte, dass man in der Wachau ein Ausflugsschiff, auf dem sich hauptsächlich Teilnehmer des Zionistenkongresses befanden, mit Steinen beworfen habe. Anscheinend dachte man, dass in dem Schnellzug nach Budapest, der etwa um 24:00 die Station Himberg passiert, ebenfalls viele Juden „flüchten“ würden, denn einer meinte plötzlich, dass es eine Hetz wäre, wenn man diesen mit Steinen bewerfen würde.
Der Müllergehilfe Adolf Neugschwandtner, der 21jährige Handelsgehilfe Leopold Schmid, der 20jährige Student Karl Pichl und der 18jährige Elektriker Franz Nußbaum machten sich auf den Weg zum Bahngleis knapp außerhalb Himbergs, sammelten faustgroße Steine und warteten auf den Zug, der bald darauf im Dunkeln herannahte. Die Stelle bei Bahnkilometer 14.3, etwa 1,2 km vom Bahnhof Richtung Osten, war strategisch gut gewählt, denn die Burschen konnten auf einer Böschung stehend waagrecht in die Fenster zielen. Insgesamt trafen sie sieben Scheiben von vier verschiedenen Waggons, welche klirrend zersplitterten. Wie sich später herausstellte, war durch großes Glück nur ein Reisender durch Glassplitter an einer Hand leicht verletzt worden.
Man lief nach Hause, Adolf Neugschwandtner kam um 0:30 Uhr verschwitzt, keuchend und mit stark verschmutzten Schuhen ins Burschenzimmer der Dreherschen Mühle, das er mit einem Kollegen teilte.
Er war über die Felder gelaufen, und die Spuren, die er hinterlassen hatte, führten den Gendarmeriekommandanten von Himberg, Maximilian Petz, tags darauf bis vor die Mühle. Vom Obmann des Turnvereins erfragte er danach die Namen derer, die nach Wien gefahren waren – von der Mühle war das nur der Gehilfe Neugschwandtner gewesen. Zur Rede gestellt, gestand dieser angeblich sofort und nannte auch gleich die Namen der drei Mittäter. So steht es im Protokoll.
Die Hauptverhandlung fand am 31. Oktober 1925 vor einem Einzelrichter am Landesgericht II in Wien statt. Die Vier rechtfertigten sich, dass sie die Tat in begreiflicher Aufregung und Erregung begangen hätten. Als Gründe für ihre Beunruhigung nannten sie das brutale Vorgehen der Polizei in Wien, die Verletzung eines Kollegen und den Vorfall am Ostbahnhof, wo sie von Juden bespuckt worden seien. Sie stellten den Hergang so dar, als hätten sie sich gar nicht zur Tat verabredet, sondern spontan und unüberlegt gehandelt, ohne bösen Willen. Erst als die Fenster klirrten, sei ihnen zu Bewusstsein gekommen, was sie getan haben.
Das Strafgesetz sah in der ursprünglichen Fassung von 1852 für boshafte Beschädigung an Eisenbahnen und dazugehörenden Anlagen und Gegenständen schweren Kerker von einem bis zu zehn Jahren vor.[2] Milderungsgründe konnten dieses Strafmaß stark reduzieren.
Vom Erstgericht wurde Neugschwandtner zu 2 Monaten, ein Mittäter zu 3 und zwei Mittäter zu 1 Monat strengen Arrest verurteilt. Die Strafe wurde auf Bewährung mit einer Probezeit von zwei Jahren ausgesprochen. Nach einer Berufung wurde das Strafmaß im Dezember 1925 jeweils auf etwa die Hälfte reduziert.
Auffallend ist, dass im Urteil zuerst noch stand, dass die Täter „die körperliche Sicherheit von Reisenden gefährdet und ein Reisender durch die Splitter auch leicht verletzt“ worden sei. Diese Sequenz wurde herausgestrichen, es blieb nur der relativ geringe Sachschaden stehen. Mildernd zählte man das schnelle und reumütige Geständnis, die bisherige Unbescholtenheit, und die „durch Alkoholgenuss und politischen Parteihader hervorgerufene Gemütserregung“.
Die Lebenslaufbahn von Adolf Neugschwandtner lässt an der Reumütigkeit seines Geständnisses zweifeln. Man kann sich vorstellen, dass die Burschen herzlich über das milde Urteil lachten und zu weiteren Taten motiviert wurden.
Quelle: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gerichtsakt III Vr 3335/1925
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[1] Neue Freie Presse, 17. August 1925, S. 2.
[2] Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit StG § 85 lit. c in Verbindung mit § 86 StG. Strafreduktionsmöglichkeit § 54.
