Kategorie: "Neugschwandtner"

Mit 24 Jahren schon warf Adolf Neugschwandtner Steine auf Juden

September 21st, 2024

17. August 1925. Adolf Neugschwandtner warf zusammen mit drei anderen Steine auf einen Schnellzug, in welchem er Juden vermutete. Sieben Fenster zersplittert, eine Person verletzt. Milde Strafe: 4 Wochen auf Bewährung.

Nach Zusammenstößen mit der Polizei bei der Demonstration gegen die Eröffnung des 14. Zionistenkongresses in Wien lassen er und drei andere junge „Deutsche Turner“ aus Himberg faustgroße Steine in die Fenster eines vorbeifahrenden D-Zugs fliegen, weil sie denken, dahinter säßen hauptsächlich Juden auf der Heimfahrt.

Die Eröffnung des 14. Internationalen Zionistenkongresses in den Wiener Sophiensälen war für den Abend des 17. August 1925 festgesetzt. Der „Deutsche Volkstag“, eine von deutschnationalen und christlichsozialen Vereinigungen geplante Gegendemonstration, die ab 7 Uhr abends von der Votivkirche ausgehend über den Ring führen sollte, wurde von der Polizei untersagt.

Man verwies unter anderem auf Tumulte und Gewalttätigkeiten, die erst drei Tage davor eine Anti-Zionistenkongress-Veranstaltung der NSDAP in Meidling hervorgerufen hatte. Und man verkündete, dass man umfassende Vorkehrungen getroffen habe, um zu verhindern, dass sich größere Menschenmengen in der Gegend der Votivkirche versammeln.[1]

Mit 24 Jahren schon warf Adolf Neugschwandtner Steine auf Juden
Ansichtskarte Bahnhof Himberg

Doch das kümmerte die organisierten Antisemiten nicht. In Massen strömten sie am 17. August in Richtung des angekündigten Versammlungsortes vor der Votivkirche. Auch aus Himberg bei Wien kamen einige „Deutsche Turner“, darunter der 24jährige Adolf Neugschwandtner. Später werden sie behaupten, dass sie nichts von dem Verbot der Versammlung gewusst haben. Sie fuhren mit dem Zug nach Wien, kamen am Ostbahnhof an und wollten mit der „Elektrischen“ zur Votivkirche. Am Ring war kurz vor dem Parlament Halt, die Wache hatte die Straße abgeriegelt, die Turner stiegen aus und versuchten zu Fuß weiterzukommen. Die Polizei ließ aber kein Weiterkommen zu, ging energisch vor und ritt einige Male auch mit blanken Säbeln in die Demonstrantenmenge, um diese zu zerstreuen. Einer der Himberger soll dabei an einem Ohr verletzt worden sein. Der Ring und der Platz vor der Votivkirche wurden zur Kampfzone, es kam zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und erhitzten Antisemiten.

Die Presse berichtete am nächsten Tag über Vorkommnisse, an denen auch die Himberger beteiligt waren: „… bei der Bellaria [knapp vor dem Parlament] machten sich größere Ansammlungen von Demonstranten bemerkbar. Auch diese bestanden zumeist aus jugendlichen Elementen, viele davon in den nun schon typisch gewordenen Windjacken, in Kniehosen und mit starken Stöcken ausgerüstet. Sie bildeten kleine Trupps, zumeist um die dort postierten Wachleute, die sie zu ihrem Standpunkt zu bekehren suchten. Andere wiederum scharten sich um einen Redner, der heftige antisemitische Brandreden hielt. Ähnliche Gruppen standen auch vor dem Parlament. Bisweilen aber kam es auch zu heftigen Zusammenstößen mit der Wache, wenn der Aufforderung ‚nicht stehen zu bleiben und weiterzugehen‘ nicht Folge geleistet wurde. Diese Tumulte endigten dann gewöhnlich mit der einen oder anderen Verhaftung, worauf die Kameraden des Verhafteten nachdrängten und die Wache beschimpften.
Schon in der Umgebung des Parlaments kam es so manchmal zu bedrohlichen Situationen, in denen ein einzelner Wachmann sich einem größeren Trupp gegenübersah und, um sich gegen einen tätlichen Angriff zu schützen, den Säbel zog.“

Mit 24 Jahren schon warf Adolf Neugschwandtner Steine auf Juden
Bundeskanzler Ramek soll schuld sein

Insgesamt kam es an diesem Tag bis spät in den Abend zu mehr als hundert Verhaftungen und mehreren Verletzten auf beiden Seiten. Für die nationale „Deutschösterreichische Tages-Zeitung“ war es eine gute Gelegenheit, den Hass gegen die Juden weiter zu schüren und berichtete am nächsten Tag auf der Titelseite sogar von angeblich getöteten Demonstranten. „Blutiger Auftakt zum Zionistenkongress. Polizeiattacken gegen die bodenständige Bevölkerung. Menschenjagd auf der Ringstraße. Zahllose Verwundete.“  

Unsere Deutschen Turner machten sich nach den für sie durchaus aufwühlenden Kämpfen erst spät auf den Heimweg. Am Ostbahnhof stießen sie vorgeblich noch auf einen zur Abfahrt bereiten Zug voller „flüchtender Juden“. Im Polizeibericht liest man: „Sämtliche zur selben Zeit am Ostbahnhof anwesenden Fahrgäste, unter ihnen auch die 8 Turner von Himberg, schrien und pfiffen auf die im Schnellzug befindlichen Juden, weshalb einige hiesige Turner von den Letzteren angeblich angespuckt wurden.“

Mit 24 Jahren schon warf Adolf Neugschwandtner Steine auf Juden
Mehrbildkarte 1910. Mit Gasthaus Stöckl

Die Turner kamen mit der Ostbahn kurz nach 23:00 Uhr in Himberg an. Der Großteil von ihnen ging noch ins Gasthaus Stöckl um den heutigen Kampftag abzuschließen. Jemand erzählte, dass man in der Wachau ein Ausflugsschiff, auf dem sich hauptsächlich Teilnehmer des Zionistenkongresses befanden, mit Steinen beworfen habe. Anscheinend dachte man, dass in dem Schnellzug nach Budapest, der etwa um 24:00 die Station Himberg passiert, ebenfalls viele Juden „flüchten“ würden, denn einer meinte plötzlich, dass es eine Hetz wäre, wenn man diesen mit Steinen bewerfen würde.

Mit 24 Jahren schon warf Adolf Neugschwandtner Steine auf Juden
Situation Kilometer 14.3

Der Müllergehilfe Adolf Neugschwandtner, der 21jährige Handelsgehilfe Leopold Schmid, der 20jährige Student Karl Pichl und der 18jährige Elektriker Franz Nußbaum machten sich auf den Weg zum Bahngleis knapp außerhalb Himbergs, sammelten faustgroße Steine und warteten auf den Zug, der bald darauf im Dunkeln herannahte. Die Stelle bei Bahnkilometer 14.3, etwa 1,2 km vom Bahnhof Richtung Osten, war strategisch gut gewählt, denn die Burschen konnten auf einer Böschung stehend waagrecht in die Fenster zielen. Insgesamt trafen sie sieben Scheiben von vier verschiedenen Waggons, welche klirrend zersplitterten. Wie sich später herausstellte, war durch großes Glück nur ein Reisender durch Glassplitter an einer Hand leicht verletzt worden.

Mit 24 Jahren schon warf Adolf Neugschwandtner Steine auf Juden
Zugtrasse abgesenkt

Man lief nach Hause, Adolf Neugschwandtner kam um 0:30 Uhr verschwitzt, keuchend und mit stark verschmutzten Schuhen ins Burschenzimmer der Dreherschen Mühle, das er mit einem Kollegen teilte.

Er war über die Felder gelaufen, und die Spuren, die er hinterlassen hatte, führten den Gendarmeriekommandanten von Himberg, Maximilian Petz, tags darauf bis vor die Mühle. Vom Obmann des Turnvereins erfragte er danach die Namen derer, die nach Wien gefahren waren – von der Mühle war das nur der Gehilfe Neugschwandtner gewesen. Zur Rede gestellt, gestand dieser angeblich sofort und nannte auch gleich die Namen der drei Mittäter. So steht es im Protokoll.

Mit 24 Jahren schon warf Adolf Neugschwandtner Steine auf Juden
Drehersche Mühle, Adolf N's Arbeitsplatz

Die Hauptverhandlung fand am 31. Oktober 1925 vor einem Einzelrichter am Landesgericht II in Wien statt. Die Vier rechtfertigten sich, dass sie die Tat in begreiflicher Aufregung und Erregung begangen hätten. Als Gründe für ihre Beunruhigung nannten sie das brutale Vorgehen der Polizei in Wien, die Verletzung eines Kollegen und den Vorfall am Ostbahnhof, wo sie von Juden bespuckt worden seien.  Sie stellten den Hergang so dar, als hätten sie sich gar nicht zur Tat verabredet, sondern spontan und unüberlegt gehandelt, ohne bösen Willen. Erst als die Fenster klirrten, sei ihnen zu Bewusstsein gekommen, was sie getan haben.

Das Strafgesetz sah in der ursprünglichen Fassung von 1852 für boshafte Beschädigung an Eisenbahnen und dazugehörenden Anlagen und Gegenständen schweren Kerker von einem bis zu zehn Jahren vor.[2] Milderungsgründe konnten dieses Strafmaß stark reduzieren.

Vom Erstgericht wurde Neugschwandtner zu 2 Monaten, ein Mittäter zu 3 und zwei Mittäter zu 1 Monat strengen Arrest verurteilt. Die Strafe wurde auf Bewährung mit einer Probezeit von zwei Jahren ausgesprochen. Nach einer Berufung wurde das Strafmaß im Dezember 1925 jeweils auf etwa die Hälfte reduziert.

Auffallend ist, dass im Urteil zuerst noch stand, dass die Täter „die körperliche Sicherheit von Reisenden gefährdet und ein Reisender durch die Splitter auch leicht verletzt“ worden sei. Diese Sequenz wurde herausgestrichen, es blieb nur der relativ geringe Sachschaden stehen. Mildernd zählte man das schnelle und reumütige Geständnis, die bisherige Unbescholtenheit, und die „durch Alkoholgenuss und politischen Parteihader hervorgerufene Gemütserregung“.

Die Lebenslaufbahn von Adolf Neugschwandtner lässt an der Reumütigkeit seines Geständnisses zweifeln. Man kann sich vorstellen, dass die Burschen herzlich über das milde Urteil lachten und zu weiteren Taten motiviert wurden.

 

Quelle: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Gerichtsakt III Vr 3335/1925

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[1] Neue Freie Presse, 17. August 1925, S. 2.

[2] Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit StG § 85 lit. c in Verbindung mit § 86 StG. Strafreduktionsmöglichkeit § 54.

„Allenfalls mehrere Wünsche“

Juli 4th, 2018

Da Josef Neugschwandtner angeben konnte, am 8. Oktober 1932 in Gmünd-Neustadt bei der „Saalschlacht“ gegen Antifaschisten verletzt worden zu sein, fiel er unter die Versorgungsgruppe der „Betreuungsstelle für die alten Parteigenossen und Angehörigen der Opfer der nationalsozialistischen Bewegung im Bereiche des Gaues Wien.“ Dort schanzte man seiner Klientel jene Stellen und vielleicht auch Geschäfte zu, welche durch die massenhafte Entlassung von Juden frei gemacht worden waren.

Neugschwandtner stellte schon am 3. Mai 1938, nicht einmal zwei Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich, an die von Hanns Blaschke geführte Versorgungsstelle einen formellen Antrag. Darin antwortete er auf die Frage: „Welche Stellung streben sie an (privat oder öffentlich und Art derselben? Allenfalls mehrere Wünsche)“ mit: „für Kunst u. Antiquitätengeschäft (eventuell als kommissarischer Leiter) oder Anstellung in einem Kunstinstitut oder Museum oder Denkmalamt, oder in andere, in diesem Fache einschlägigem Gebiete.“

Seine Qualifikationen dafür laut Fragebogen:

„Schulbildung: Name der Schule und Angabe der Abgangsdaten (Schlusszeugnis)
8-klassige Volksschule in Groß Schönau (NÖ) 1918.

Berufsausbildung: Gelernter Kunst u. Antiquitätentischler.

Welche Sprachen sprechen Sie? – [keine].

Welche Profession haben Sie erlernt? (Lehrzeugnis, Gesellenbrief): Tischler mit Lehrzeugnis.

Können Sie stenographieren und maschinschreiben? – [nein].

Sonstige Kenntnisse und Geschicklichkeiten (Musik, Sport, etc.): Erfahrung und Kenntnis in Kunst- und Antiquitätengegenständen, auch in anderen Handwerksarbeiten große Geschicklichkeit.“

Schon am 20. Mai 1938 entsprach man dem Ansuchen, wenn auch nur teilweise, denn Blaschkes Betreuungsstelle schickte folgendes Schreiben an das Arbeitsamt für Holzarbeiter:

Neugschwandtner sollte zuerst, seiner Qualifikation entsprechend, bei der Vergabe guter Stellungen im Bereich der Holzwirtschaft bevorzugt werden. Ihm dürfte aber der Sinn nach Höherem gestanden sein, und es gelang ihm ziemlich schnell, wahrscheinlich durch Protektion seines Bruders, als kommissarischer Verwalter einer großen, arisierten Galerie eingesetzt zu werden!

Im Gauakt ist eine Art Feedbackkarte1 der Betreuungsstelle vorhanden, mit der Neugschwandtner am 8. Juni 1938 rückmelden konnte, dass er nun kommissarischer Leiter der Kunsthandlung Salzer2 geworden sei. Unter der Rubrik „Sonstige Wünsche erfüllt“ trägt er ein: „Nachdem ich einstweilen als kommissarischer Leiter fungiere, möchte ich bitten, mir behilflich zu sein, ein Geschäft in dieser Branche zu übernehmen.“

 

Es galt, jetzt schnell zuzugreifen.  Als Briefmarken sind eine 5 Pfennigmarke des Deutschen Reichs mit dem Profil Hindenburgs und eine 30 Groschenmarke mit einem jungen steirischen Jägerportrait geklebt, im Nachhinein ein sinniges Symbol dafür, dass da zusammenwuchs, was nicht zusammengehörte.

Merkwürdig ist, dass erst vom 8. August 1938 ein Schreiben des Staatskommissares in der Privatwirtschaft, Prüfstelle für kommissarische Verwalter, eine formelle Anfrage an den Kreisleiter der NSDAP Kreis I. vorliegt. In diesem wird angekündigt, dass man Neugschwandtner als kommissarischen Verwalter einsetzen werde, sollte bis 6. August kein begründeter Einspruch erfolgen. Vielleicht arbeitete man damit nur noch formell ab, was man in der anfänglichen Hektik beim Raub jüdischen Eigentums nicht gleich erledigen konnte.

Das Arbeitsamt für Holzindustrie meldete am 16. August 1938 an Blaschke, dass Neugschwandtner zurzeit kommissarischer Leiter der Firma „Neumann und Salzer“ sei. Und weiter:

Arbeit in seinem Beruf kommt nicht mehr in Frage, da sie ihm zu schwer ist. Er hat sich bereits bei der Reichskulturkammer zwecks Eröffnung eines Antiquitätengeschäftes angemeldet und bittet, ihm wenn möglich eine finanzielle Hilfe zu gewähren.

Neugschwandtner war 34 Jahre alt und konnte wegen der Blessuren von der Massenschlägerei vor sechs Jahren nicht mehr als Tischler arbeiten? Dass ihm jetzt nach dem Sieg der Nazis und als Bruder eines hochrangigen SA-Führers eine ordentliche, arisierte Galerie und ein wenig Geld für den Einstieg zustünde, war für ihn jedenfalls klar.

Von der angesprochenen Reichskammer der bildenden Künste, der auch der Bund Deutscher Kunst- und Antiquitätenhändler angehörte, ist eine formelle Anfrage vom 3. März 1939 betreffend Neugschwandtner vorhanden, in der nach üblicher Vorgehensweise bei der Gauleitung um Auskunft über die „politische Zuverlässigkeit“ des Beitrittswerbers nachgefragt wird. Es liegt auch die Antwort im Akt: „Neugschwandtner Sepp., 9. Wasagasse No.23 ist seit 8.8.1930 Mitglied, Scharführer bei der SA., vollkommen verlässlich und einwandfrei.“ Handschriftlich ist dem kurzen Schreiben noch die besondere Empfehlung hinzugefügt: „Alter Kämpfer!“

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Alle hier zitierten Dokumente finden sich im Gauakt Josef Neugschwandtner, Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, BMI/Gauakten.

1) Anscheinend hat man den alten Kumpanen solche vorgedruckten Karten mitgegeben, damit sie der Partei leicht Erfolg oder Misserfolg beim Verteilen der Beute mitteilen konnten.

2) Bedeutende Galerie Neumann und Salzer, Dorotheergasse 11, Bräunerstrasse 11 bzw. Stallburggasse 2, Wien. Inhaber waren Eugen Neumann und Oskar Salzer 1925 bis 1932, danach Salzer allein bis 1938. Mehr dazu <online>

Josef Neugschwandtner: Keine illegale Tätigkeit?

Juni 28th, 2018

Nach der Niederwerfung der NS-Greuelherrschaft musste sich Josef Neugschwandtner vor dem Volksgericht in Wien für seine illegale Tätigkeit zur Zersetzung Österreichs verantworten. Er gab damals u.a. zu Protokoll: „Ich selbst habe mich wahrheitsgemäss um die Aufnahme in die NSDAP direkt vor dem Jahre 1938 nicht beworben […] Tatsache ist, dass ich mich illegal für die NSDAP nicht betätigt habe […]“1

Ganz anders liest es sich in seiner Bewerbung vom 20. Juni 1938 zur Anerkennung seiner bisherigen illegalen NSDAP-Mitgliedschaft bzw. seiner bisherigen niedrigen Mitgliedsnummer 197.794:

„ich war: bis Februar 1931 als Zellenobmann tätig, dann als Mitarbeiter in der Ortsgruppe Groß-Schönau, stellte daselbst einen SA-Trupp vom Sturm 22/49 auf und führte diesen bis Mai 1934, ab Mai 1934 bis Dez. 1934 führte ich den Sturm 22/49 selbstständig. In dieser Zeit tätigte ich auch mit diesem Sturm die Waffentransporte von der Tschechoslowakei nach Österreich. In dieser Zeit wurden auch mehrere Flüchtlingstransporte durch meinen Sturm durchgeführt.
Im Dezember 1934 wurde ich nach Wien zum Sturm 22/15 überstellt, woselbst ich bis Nov. 1937 Dienst machte.
Ab November 1937 bis Umbruch war ich im Nachrichtendienst im Sturmbann 3/15 tätig.
Ich wurde am 8. Oktober 1932 in Gmünd II. bei einer Saalschlacht2 unter dem Sturmbannführer Max Fitzthum am Kopfe schwer verletzt.
Eine zweite Verletzung erhielt ich bei der Anwesenheit des Auss. Minister Neurath3 in Wien.“4

Zur Erinnerung: Seit dem 19. Juni 1933 war die NSDAP in Österreich verboten, ein Großteil der angeführten Tätigkeiten fand in der Zeit danach statt! In der Bewerbung gab er weiters an, dass er schon am 8. August 1930 erstmalig in die NSDAP, Ortsgruppe Meidling, beigetreten sei. Seine bisherige, von der NSDAP-Reichsleitung bestätigte Mitgliedsnummer sei 197.794 mit Aufnahmedatum Juli 1931, er habe seine Beiträge zuletzt an den Sturm 22/15, davor unterbrechungslos bezahlt! Angeblich wurde er auch wegen NS-Betätigung bestraft und hat insgesamt dreieinhalb Monate Kerker erlitten.

In der Niederschrift von 1946 meinte Neugschwandtner, dass er sich „illegal für die NSDAP nicht betätigt habe“.  Aber solche Erinnerungslücken waren zu dieser Zeit weit verbreitet.
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1) Niederschrift der Sicherheitsdirektion für das Land Niederösterreich vom 7.6.1946, unterzeichnet von Josef Neugschwandtner, WStLA, Vg 11 b Vr 4657/46.

2) Anlässlich einer nationalsozialistischen Versammlung im Gasthaus Ableidinger in Gmünd Neustadt kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten auf der einen, sowie Sozialdemokraten und Kommunisten auf der anderen Seite. Laut Zeitungsberichten gab es 23 Verletzte. Die Gruppen gingen mit Steinen aufeinander los und konnten nur mit Waffengewalt von der Gendarmerie getrennt werden. Der Vorfall löste ein starkes Medienecho aus. Vgl.: „Versammlungstumulte in Gmünd. 23 Verletzte. Gendarmerie säubert mit gefälltem Bajonett den Kampfplatz.“ In: Wiener Neueste Nachrichten (Wien, 10.10.193) 1, <online>. Die Arbeiter Zeitung vom 10.10.1932 berichtet unter „Zusammenstöße in Gmünd“ ebenfalls auf der Titelseite und schließt: „Es kam zwischen Sozialdemokraten und Nazi zu einem Zusammenstoß, wobei die Nazi eine wohlverdiente Tracht Prügel abbekamen.“

3) Konstantin von Neurath war von 22.02. bis 23.02.1938 in Wien. Vgl. dazu: Das interessante Blatt, 25. Februar 1937, 1, <online> bzw. zu den nazistischen Unruhen dabei: Salzburger Volksblatt, 22. Februar 1937, 8, <online>.

4) Personalfragebogen, Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, BMI/Gauakten, Gauakt Josef Neugschwandtner.

Fadenscheiniger Strafakt / Straflos in Bad Mergentheim?

Juni 24th, 2018

Der Akt zum Volksgerichtsverfahren gegen Adolf Neugschwandtner1 wirkt befremdlich. Seine Aktenzahl stammt aus dem Jahr 1955, zehn Jahre „Danach“, das Verfahren wurde damals neu aufgenommen, aber anscheinend nur, um es wegen der in der Zwischenzeit geltenden Amnestien und Gesetzesänderungen gleich wieder beenden zu können. Ohne dass man Neugschwandtner jemals aufgestöbert, geschweige man ihm den Prozess gemacht hätte! Eine gewisse innerfamiliäre Ungerechtigkeit liegt ganz besonders in diesem Fall, denn der Bruder Adolfs, Sepp, war zwar nicht unschuldig, bewegte sich jedoch nicht annähernd in den NS-Sphären von Adolf, versteckte sich nicht nach dem Krieg, stellte sich vielmehr seiner Verantwortung und wurde schließlich zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, währenddessen Adolf untertauchte, 1955 sozusagen amtlich amnestiert wurde und keinen einzigen Tag ins Gefängnis musste. Es wurde nie eine gerichtliche Untersuchung durchgeführt, in der etwaige Vergehen durchleuchtet worden wären. Er wäre allein wegen seines hohen SA-Ranges in der Verbotszeit zu einer längeren Haftstrafe verurteilt worden. Nach unüberprüfbaren Informationen ist er unter dem Namen „Adolf Neumann“ nach Deutschland geflüchtet und konnte dort bis zu seinem Tod (etwa um 1975) unerkannt und unbehelligt in der Gegend von Bad Mergentheim mit seiner Familie leben.

Aber wieder zum Volksgerichtsakt Vg 8e Vr 105/55:

Die Staatsanwaltschaft Wien ersuchte am 19. April 1955 um folgende Erhebungen:
Beischaffung der Strafkarte, Leumundserhebungen am letzten Wohnort, Anfrage an das BMI, Abt. II und „Widerruf der Ausschreibung“.

Schon am 3. Mai 1955 widerrief das Landesgericht für Strafsachen Abt. VG 8 die Ausschreibung im staatspolizeilichen Fahndungsblatt 1119/46 „über Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 19.04.1955. (letzte Anschrift: Krems a.d.D., Dienstlstraße 14.)“.

Dann ist im Akt eine Karte, welche dem Gauakt bei der Zusendung durch das BMI an das Volksgericht beigelegt war:

„In der Anlage wird der Gauakt 146.367 (21 Blatt) betr. Adolf Neugschwandtner (20.4.1901) zur Einsichtnahme mit dem Ersuchen um ehesten Rückschluss übermittelt.
In den Unterlagen bei der Polizeidirektion Wien, Abt. I,  unter Zl ZE 34.089/46, wird der Genannte als Angehöriger der österr. Legions-SA seit Sept. 1925 als Obersturmbannführer und Mitglied der NSDAP (Migl.Nr. 52.118) seit März 1925 beschrieben. 13. Mai 1955“

Am 3. Oktober 1955 schrieb schließlich die Staatsanwaltschaft Wien an den Untersuchungsrichter im Landesgericht für Strafsachen,

 „dass kein Grund zu einer weiteren Verfolgung des Adolf Neugschwandtner wegen §§ 10, 11 VG 1947 gefunden wird (§ 90 StPO, Entschließung des Bundespräsidenten vom 19.9.1955). Beigefügt wird, dass der Adolf Neugschwandtner betreffende Gauakt vom Bundesministerium für Inneres, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, zurückbehalten wurde.“

Im Akt liegt ein 25-seitiges Konvolut mit älteren Anzeigen und Schriftstücken ein.

Die ältesten Dokumente stammen vom 25. März 1946, nicht ganz ein Jahr nach der Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus. Ein Herr Freis vom Referat I/C in der Polizeidirektion Wien notiert unter dem Betreff Alois Neugschwandtner:

„Erhebungsbericht.
Nach Aussagen des SA-Sturmbannf. Amann war der Posten des Führers der SA-Brigade 92 von SA-Brigadef. Adolf Neugeschwandtner [so!] besetzt.
Die Erhebung ergab, dass N. am 20.4.1901 in Storwitz [richtig Strobnitz] bezw. Grotzen [richtig Gratzen] geb., gesch., ggl., als SA-Brigadef. in Wien I., Reichsratstrasse 8/32 gemeldet, im Hause als SA-Brigadef. bekannt und geflüchtet ist.“

Am selben Tag schreibt Freis noch eine Anfrage an das BMI, Abt. 2, betreffend Adolf Neugeschwandtner, ob dort Unterlagen über dessen Verhältnis zur NSDAP vorhanden sind, man führe Erhebungen wegen § 10 und 11 Verbotsgesetz.

Am 2. April 1946 gibt die Polizeidirektion Wien für einen Alois Neugeschwandtner den Festnahmebefehl mit den bekannten Geburtsdaten aus.

Am 10. April, kaum eine Woche später, folgt das Fahndungsersuchen an das Staatsamt für Inneres, Abt. 2. Alois Neugeschwandtner solle im staatspolizeilichen Fahndungsblatt zur Verhaftung ausgeschrieben werden, da er im Verdacht stehe, sich während der Verbotszeit des Hochverrats schuldig gemacht zu haben. Dem Ersuchen folgte der Eintrag im Fahndungsblatt 11/1946 mit der Nummer 1119. (Siehe älteren Beitrag.)

Eine zweite Anzeige erfolgte am 8. März 1947, diesmal von der Kriminalabteilung des Magistrates der Stadt Krems. In dieser sind erstmals Name und Geburtsort richtig!

„Nr. 789a46 / Ra.
Anzeige wegen Verbotsgesetz §§ 10,11,12.
Bezug: ohne.

Anzeige. 1. Nationale:

Neugschwandtner Adolf, am 20.4.1901 in Strobnitz, - Bezirk Budweis, CSR. geboren, zuständig nach Langschlag, Bezirk Zwettl, N.Ö., österr. Staatsbürger, hauptamtlicher SA.-Führer, in Krems a.d. Donau, Dienstlstrasse 14 wohnhaft gewesen, derzeit unbekannten Aufenthalt, weitere Nationale unbekannt.

Tatgeschichte.

a) Darstellung der Tat:

Adolf Neugschwandtner war SA.Brigadeführer der SA.-Gruppe Donau Wien und ist Träger des Blutordens der NSDAP. sowie der Erinnerungsmedaille an den 13. März 1938.

b) Beweismittel:

Adolf Neugschwandtner ist am 14.1.1939 von Wien X., Fasergasse 23-29 nach Krems a.d.Donau zugezogen und war bis zum Jahre 1940 in Krems a.d. Donau, Dienstlstrasse 14 wohnhaft. Laut Vermerk beim polizeilichen Meldeamt der Stadt Krems war der Genannte hauptamtlicher SA.-Führer und ist am 28.5.1940 nach Stammersdorf zur Wehrmacht eingerückt.

Über eine illeg. Parteizugehörigkeit und Tätigkeit des Neugschwandtner konnte nichts ermittelt werden, da derselbe während seines Aufenthaltes in Krems in den Kanzleiräumen der SA.-Brigade wohnhaft war und daher sehr wenig unter der Bevölkerung bekannt war. Als einzige Zeugin konnte die in Krems a.d. Donau, Dienstlstrasse Nr. 6 wohnhafte Marie Hasenzagel ausgeforscht werden, welche für kurze Zeit während der Kriegsjahre Aufräumungsarbeiten in den Kanzleiraumen der SA.-Brigade durchführte und dadurch den Beschuldigten näher kannte. Dieselbe gab nach Befragen an, dass Neugschwandtner der SA.-Gruppe Donau-Wien IV. (Prinz Eugenstraße 36) angehörte, hauptamtlicher SA.- Führer war und den Blutorden der NSDAP sowie die Erinnerungsmedaille an den 13. März 1938 besaß.

Da Adolf Neugschwandtner derzeit unbekannten Aufenthaltes ist, wurde am 8. März 1947 von ha. dem Staatsamt für Inneres ein Fahndungsersuchen zwecks Verhaftung des Genannten vorgelegt.

An den Hr. Bürgermeister der Stadt Krems a.d. Donau in Krems / Donau. Vorstehende Anzeige wird zur gefälligen Kenntnisnahme und mit der Bitte um weitere Veranlassung überreicht.

Der Sicherheitsreferent: [gez.]  Leiter der Kripo.Abt.: [gez.]“

Dem erwähnten Ersuchen wurde durch den Eintrag im Fahndungsblatt Nr 9, StaPo 1947 unter der Nummer 754 entsprochen. (Siehe älteren Beitrag.)

Viel mehr ist nicht im Akt vorhanden. Mit der letzten Erwähnung im Völkischen Beobachter am 28. August 1944 verliert sich die Spur Adolf Neugschwandtners. Der Anlass, eine Kundgebung des Kampfwillens in St. Pölten, liest sich wie der letzte Akt einer Wagnerschen Oper:

„In zahlreichen Stürmen waren die Männer der Stadtortsgruppen St. Pöltens zum ersten Appell der Kriegshilfsmannschaften auf dem Trabrennplatz angetreten. Tausende deutscher Männer waren dem Rufe gefolgt und stellten sich in Reih und Glied. Auch wegen ihres Alters nicht mehr teilnahmepflichtige Männer und Körperbehinderte waren erschienen. So gestaltete sich der Aufmarsch der Kriegshilfsmannschaften zu einer Demonstration der Einsatzbereitschaft aller deutschen Männer von St. Pölten. Kreisleiter Mühlberger war in Begleitung von SA.-Brigadeführer Neugschwandtner erschienen, um zu den Männern dieser Kampfgemeinschaft der Heimat zu sprechen.“ (Völkischer Beobachter, 28. August 1944)

Der große SA-Brigadeführer erscheint noch einmal bei der Mobilisierung der Alten und Behinderten für den totalen Krieg.3 Vielleicht waren auch Jugendliche und halbe Kinder dabei, so wie es beim Volkssturm üblich war. Schickt noch die letzten als männlich erkennbaren Gestalten in den Krieg verschwindet danach im Nebel der Endzeitwirren.

Falls jemandem weitere Hinweise bekannt sind, so ersucht der Autor um Zusendugen an hp@prinzeps.com oder um einen Kommentar gleich hier unterhalb des Artikels.
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1) Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Landesgericht für Strafsachen, Vg 8e Vr 105/55.

2) Ebd., Blatt 31.

3) Das Bild eines solchen Sturmes (ohne Zusammenhang mit der St. Pöltner Kundgebung) zur Veranschaulichung in der Wiener Illustrierten.

1955: „kein Grund zu einer weiteren Verfolgung“

Juni 23rd, 2018

Der Akt zum Volksgerichtsverfahren gegen Adolf Neugschwandtner wirkt irgendwie befremdlich. Er trägt zum Beispiel eine Aktenzahl aus dem Jahr 1955, das Verfahren wurde also in diesem Jahr neu aufgesetzt, aber anscheinend nur, um es wegen der in der Zwischenzeit geltenden Amnestien und Gesetzesänderungen auch sofort beenden zu können, ohne dass man Neugschwandtner auch nur wenigstens aufgestöbert hätte. Eine gewisse innerfamiliäre Ungerechtigkeit liegt jedenfalls in diesem Fall, denn der Bruder von Adolf, Sepp, war zwar auch nicht unschuldig, bewegte sich jedoch nicht annähernd in den Sphären wie Adolf, versteckte sich nicht nach dem Krieg, stellte sich seiner Verantwortung und wurde schließlich zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, währenddessen Adolf untertauchte und 1955 schließlich sozusagen amtlich amnestiert wurde und keinen Tag Gefängnis erleben musste.

Aber eins nach dem anderen:

Die Staatsanwaltschaft Wien ersucht am 19. April 1955 um folgende Erhebungen:
Beischaffung der Strafkarte, Leumundserhebungen am letzten Wohnort, Anfrage an das BMI, Abt. II und „Widerruf der Ausschreibung“.1

Schon am 3. Mai 1955 widerruft das Landesgericht für Strafsachen Abt. VG 8 die Ausschreibung im staatspolizeilichen Fahndungsblatt 1119/46 „über Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 19.04.1955. (letzte Anschrift: Krems a.d.D., Dienstlstraße 14.)“.2

Dann ist im Akt eine Karte, welche der Zusendung des Gauaktes durch das BMI an das Volksgericht beigelegt war:

In der Anlage wird der Gauakt 146.367 (21 Blatt) betr. Adolf Neugschwandtner (20.4.1901) zur Einsichtnahme mit dem Ersuchen um ehesten Rückschluss übermittelt.
In den Unterlagen bei der Polizeidirektion Wien, Abt. I,  unter Zl ZE 34.089/46, wird der Genannte als Angehöriger der österr. Legions-SA seit Sept. 1925 als Obersturmbannführer und Mitglied der NSDAP (Migl.Nr. 52.118) seit März 1925 beschrieben. 13. Mai 1955

Am 3. Oktober 1955 schreibt schließlich die Staatsanwaltschaft Wien an den Untersuchungsrichter im Landesgericht für Strafsachen, „dass kein Grund zu einer weiteren Verfolgung des Adolf Neugschwandtner wegen §§ 10, 11 VG 1947 gefunden wird (§ 90 StPO, Entschließung des Bundespräsidenten vom 19.9.1955). Beigefügt wird, dass der Adolf Neugschwandtner betreffende Gauakt vom Bundesministerium für Inneres, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, zurückbehalten wurde.
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1) Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Landesgericht für Strafsachen, Vg 8e Vr 105/55, Blatt 1.

2) Ebd., Blatt 31.