Kategorie: "Spital bei Weitra"
War Hitler im Sommer 1901 bei Verwandten in Spital am Semmering? Oder doch im Waldviertel?
Juni 11th, 2023Seit 2016 gibt es das vierbändige Werk "Hitler - Das Itinerar : Aufenthaltsorte und Reisen von 1889 bis 1945". Die Gesamtausgabe kostet etwa 400 €.
Leider hat das wichtige Nachschlagwerk zur Biografie Hitlers grobe Fehler parat, wenn es um dessen Jugend geht. Ein Beispiel:
Im August 1901 war Hitler in Spital bei Weitra bei seiner Tante. Wahrscheinlich ja. Aber:
Die Illustration hat mich irritiert, weil ich Spital doch ein wenig kenne. Die Berge, die große Kirche, der schlanke Turm. Um ganz sicher zu gehen, suchte ich nach Fotografien von Kirchen aus den anderen Orten namens Spital in Österreich. Und wurde fündig:
Es ist die Kirche von Spital am Semmering! Man erkennt es eindeutig an den fünf Dachluken. Etwas peinlich, oder? So sieht übrigens unsere Spitaler Kirche wirklich aus:
Und noch etwas: Das Kürzel ZF im Text steht für Zugfahrt. Die Zugfahrt soll von Leonding nach Weitra gegangen sein. Dumm, dass die Bahn von Gmünd nach Weitra erst 1902 eröffnet wurde.
Ganz zu schweigen davon, dass im August in keinem Ort Spital in Österreich so viel Schnee liegt.
Die Taufpaten von Adolf Hitler
Mai 17th, 2023In einem relativ neuen, angesehenen Nachschlagewerk, dem Itinerar von Harald Sandner aus dem Jahr 2016, liest man, dass Adolf Hitler, als er im Mai 1906 das erste Mal von Linz kommend Wien besuchte, bei Johann Prinz gewohnt habe.1 Der genaue Ort sei unbekannt.
In dem 2022 erschienenen, von Oliver Rathkolb und Johannes Sachslehner überarbeiteten Buch Brigitte Hamanns, Hitlers Wien, ist zu dieser Reise zu lesen:
„Wo Hitler in Wien wohnte, ist unbekannt. Dass er bei seinem Taufpaten Johann Prinz Unterkunft fand, wie oft behauptet, ist kaum möglich. Denn das Ehepaar Prinz, das 1885 auf einer Urkunde als „Bademeistersehepaar im Wiener Sofienbad“ erwähnt wird, wohnhaft im 3. Bezirk, Löwengasse 28, ist 1906 nicht mehr an dieser Adresse nachzuweisen, und auch andere Informationen fehlen.“2
Roman Sandgruber wusste ein Jahr vorher, 2021, schon mehr:
„Im Mai 1906 fuhr Adolf nach Wien und besuchte Museen und andere Sehenswürdigkeiten der Stadt. […] Der Aufenthalt war teuer, sicher an die 100 Kronen, auch wenn er wahrscheinlich bei seiner Taufpatin leben konnte, die in diesem Jahr noch an ihrer Adresse im dritten Bezirk gemeldet war.“3 Also war Johanna Prinz doch registriert?
Am meisten, speziell über den Taufpaten Johann Prinz, zu erzählen weiß drei Jahre früher, nämlich 2018, Volker Elis Pilgrim: „Als Hitler sich zwischen 1. und 10. Mai 1906 erstmals in Wien aufhielt, um eines Tages seinen Weg zur dortigen Kunst- Akademie einzuschlagen, wohnte er bei Johann Prinz, (Sandner I, S. 78) seinem Taufpaten, einem ehemaligen Freund seines Vaters. (Bavendamm, S. III, B. 4) Der Pate Johann Prinz wirkte auf seinen inzwischen 17-jährigen Patensohn ein, das Abitur nachzumachen, um eines Tages das Bauingenieur-Fach studieren zu können, denn davon, »Baumeister werden zu wollen«, faselte Hitler noch bis ins »hohe Alter« hinein.“
Pilgrim will mit seinem Buch beweisen, dass Hitler homosexuell war. Als einen von vielen Belegen führt er an, dass der 17-Jährige damals in Wien sich überhaupt nicht für Mädchen interessiert habe und dagegen fast jeden Tag eine Karte an seinen in Linz zurück gelassenen Freund Kubitschek schrieb. „Jetzt hätten sich »in der sechstgrößten Stadt der Erde« (Sandner) Massen von Gelegenheiten für den 17-Jährigen geboten, sich nach einem Wiener »Madl« (Brandmayer) umzuschauen. Hatte auch Patenonkel Hans nichts junges Weibliches unter sich, nichts neben sich bei seinen Verwandten, Freunden und Nachbarn? Hitler verlässt seinen Patenonkel in Wien, ohne auch nur »Schnitzel« von einer Großstadt-möglichen »Jagd« nach Weiblichem hinter sich gestreut zu haben.“4
Ich habe viele Stunden damit verbracht, die Geschichte der Taufpaten Johann und Johanna Prinz aus den Matriken der katholischen Kirche zu rekonstruieren. Hier ist das Ergebnis: Alois Schicklgruber und seine Spitaler Prinzen in Wien
Es ist ein Blick ins 19. Jahrhundert mit seiner grassierenden Kindersterblichkeit.
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Literatur:
Brigitte Hamann, Johannes Sachslehner, Oliver Rathkolb, Hitlers Wien (Wien, Graz 2022).
Volker Elis Pilgrim, C: Von der Männerliebe zur Lust am Töten (Hamburg 2018).
Roman Sandgruber, Hitlers Vater: wie der Sohn zum Diktator wurde (Wien, Graz 2021).
Harald Sandner, Hitler - Das Itinerar: Aufenthaltsorte und Reisen von 1889 bis 1945 (Berlin 2016) Bd. 1.
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1 Sandner, S. 77
2 Hamann, S. 67. Die Fußnote dazu: „Bundesarchiv Koblenz, Akten des Parteiarchivs der NSDAP NS26/17a. Berufsangabe laut Taufschein von Gustav Hitler von 1885 und Wien Stadt- und Landesarchiv Meldearchiv.“ In der Taufmatrik von Braunau am Inn sind die Taufpaten Gustav Hitlers als Bademeisterseheleute eingetragen. (Taufregister 03, 1881 – 1891, fol. 75, laufende Nummer 42), online abrufbar unter https://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/oberoesterreich/braunau-am-inn/103%252F03/?pg=99 (zuletzt April 2023).
3 Sandgruber, S. 67.
4 Pilgrim, S. 109.
Bericht einer Frau im Reichsarbeitsdienst über Spital bei Weitra
Mai 15th, 2023Gehen wir mit einer jungen Wienerin in den Reichsarbeitsdienst nach Spital bei Weitra:
"In Weitra musste ich vom Bahnhof ein gutes Stück, etwa drei Kilometer, zu Fuß gehen, bevor ich nahe der kleinen Ortschaft Spital das Barackenlager des Reichsarbeitsdienstes erreichte, wo ich die nächsten Monate verbringen sollte. In der reizvollen Landschaft des Waldviertels, dicht an den Rand eines der typischen kleinen Hügel gerückt, aus denen riesige Granitblöcke ragen, die von alten Bäumen beschattet werden, standen die Holzbauten."
Hier ihr Augenzeugenbericht aus einem Bauernhof:
"Nach wenigen Tagen Einschulung begann für uns die Arbeit bei den Bauern. Wir sollten tagsüber sowohl bei der Feld- als auch bei der Hausarbeit helfen. Von Hygiene wussten die Waldviertler Bauern damals noch nicht viel, und unsere Aufgabe bestand daher unter anderem auch darin, in dieser Hinsicht aufklärend zu wirken. Einiges ergab sich dabei fast von selbst, denn wir Arbeitsmaiden hatten das Recht, von eigenen Tellern zu essen, nicht aus einer gemeinsamen Schüssel.
Das Anwesen, in dem ich meine Arbeit beginnen sollte, lag am Rande des Dorfes. Ställe und Nebengebäude erschienen mir durchaus ansehnlich, das Wohnhaus aber war winzig klein. Es bestand nur aus einem geräumigen Vorraum und einer großen Stube, in der sich nicht nur ein mächtiger Schrank, der Herd und ein langer Tisch mit vielen Stühlen befanden, sondern auch ein ausladendes Doppelbett. Offensichtlich hielt sich die Familie hier Tag und Nacht auf, denn ich sah keine anderen Räume.
Zuerst wagte es die Bäuerin nicht, mir Arbeit zu schaffen, obwohl es an dieser nicht mangelte. In der Ecke neben dem Herd befand sich ein ganzer Berg schmutzigen Geschirrs, und so beschloss ich, vorerst dieses zu reinigen. Aber im Vorhaus, wo die Bäuerin sonst diese Arbeit verrichtete, hielt ich es nicht aus. Hier bewahrte sie auch das eingesurte Fleisch auf, und dieses stank derart penetrant, dass ich kurz entschlossen das Geschirrschaff auf die Straße trug, es auf der Hausbank abstellte und hier mit der Arbeit begann. Ich säuberte auch das Essbesteck, das bisher von den Familienmitgliedern nur abgeleckt, ins Tischtuch gewischt und in die entsprechende Lade gelegt worden war.
Die Bäuerin ließ mich gewähren, also versuchte ich, auch sonst etwas Sauberkeit in das Haus zu bringen. Ich fegte das Vorhaus und die Stube, wusch die Kinder und zog ihnen frische Kleidung an. Kaum aber hatte ich versucht, das Bett frisch zu überziehen, wehrte die Bäuerin entsetzt ab. Das Bett durfte nur sie berühren, es war ihr intimster Bereich, hier schlief sie mit der ganzen Familie. Zwischen ihr und dem Bauern lag das jüngste Kind, neben ihnen und am Fußende des Bettes ruhten die anderen, kreuz und quer liegend. Ein eigenes Bett für jedes Familienmitglied war ihr unvorstellbar."
Die Hühner fraßen die Fingerspitze
Irene Hudler, geboren 1925, Wien
Aus: Erlebte Geschichte Niederösterreich (St. Pölten/Wien/Linz 2004) 76-82
Pfarrer Anton Weissensteiner in Großpertholz
Juli 6th, 2018Momentan steht mir als einzige Quelle dazu Robert Kurijs "Nationalsozialismus und Widerstand im Waldviertel" aus dem Jahr 1987 zur Verfügung.1 Im Lauf des Sommers hoffe ich Originaldokumente zum Prozess einsehen zu können. Vielleicht geben diese ja auch einen ungewollten Einblick in die Struktur eines Waldviertler Dorfes zu Zeiten des Autoritären.
Nach Kurij stammt Weissenteiner aus Eichberg in unserem Bezirk. In einer Predigt in Großpertholz vom 20. April 1941, am "Führergeburtstag", soll er den Niedergang des Glaubens in der damaligen Zeit beklagt haben: während man früher aufragende Burgen gebaut habe, baue man jetzt nur noch Bunker. Daraufhin sei er denunziert und in Folge das erste Mal verhaftet worden. Anscheinend wurde er bis zur Verhandlung wieder freigelassen, denn erst ein weiterer Vorfall brachte ihn in noch ärgere Bedrängnis. Von einem Schüler im Religionsunterricht verhöhnt, vergaß er jede Vorsicht und kritisierte den Nationalsozialismus fundamental, wurde dabei von Oberlehrer Karl Mödlagl belauscht und gestellt. Weissensteiner wurde wieder angezeigt, verhaftet und schließlich am 19. Dezember 1941 in Krems zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Er verbüßte die volle Strafe, musste danach Großpertholz verlassen und kam nach Spital bei Weitra. Ob er sich im Geburtsort von Hitlers Mutter wohl gefühlt hat?
________14.07.2018
Im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes gibt es das Dossier zu Weissensteiner2 noch, aber es ist nicht mehr sehr reichhaltig. Anscheinend hatte Kurij bei der Verfassung seines Buches noch mehr darin vorgefunden. Dieser Akt enthält heute hauptsächlich Dokumente, die anlässlich des Ansuchens Weissensteiners auf Haftentschädigung Anfang der 50er Jahre angefallen sind, unter anderem einen Brief vom Sekretariat der bischöflichen Klerusstellen, den ich hier gerne wiedergeben möchte, da er doch Licht auf einige Umstände wirft:
Wien, den 30. 12. 1952
Lieber Freund!
Reichlich spät, zum Glück noch nicht zu spät, bewirbst du dich um eine Amtsbescheinigung. Schicke also den Heimatschein, gleichgültig, von welcher Gemeinde er ausgestellt ist, und einen Wohnungsnachweis, der von der Gemeinde in Spital zu bekommen ist, stempelfrei nach Gmünd. Die Staatsbürgerschaft ist durch den Heimatschein ohnehin nachgewiesen. Wegen des Nachweises Deines Einsatzes für ein freies und demokratisches Österreich habe ich soeben an Deinen ehemaligen Verteidiger Dr. Saahs geschrieben. Er wird Dir schicken, was du brauchst. Die paar Schilling wirst Du ihm gerne bezahlen, da Du für jeden in der Haft verbrachten Monat 431 S erhältst. Du bist zu 18 Monaten verurteilt worden. Abgeholt hat Dich die Gestapo am 11.7.1941, Verhandlung war am 19.12.1941. Im Krankenhaus warst Du interniert von Anfang Oktober 1941 bis 1.7.1942. Diese Zeit gilt vielleicht auch als Haft. Wie lange Du in Landsberg warst, weiß ich nicht. Die Untersuchungshaft, die am 25.7.1941 begann, wird wohl in die 18 Monate eingerechnet werden. Somit hat Deine Strafzeit am 25.1.1943 geendet. Wieviel Dir erlassen wurde, weiß ich nicht. Hoffentlich hast Du noch Nachweise für die bezahlten Haft- und Gerichtskosten zur Hand.
Sobald Du die Amtsbescheinigung hast. lässt Du Dir Deine Lohnsteuerkarte von der Finanzkammer schicken und gehst mit beiden zum Steueramt behufs Abschreibung von monatlich 364 S Freibetrag. Als 70jähriger kannst Du außerdem einen Freibetrag für den Unterhalt der Haushälterin verlangen. Somit wird Deine Lohnsteuer ganz minimal werden. Schreibe, wenn Du Dich bei etwas nicht auskennst.
Glückliches neues Jahr und viele Grüße.
D F Draxler [eigenhändig]
Für die Haftentschädigung brauchte man nach dem „Bundesgesetz vom 4. Juli 1947 über die Fürsorge für die Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und die Opfer politischer Verfolgung“ eine sogenannte Amtsbescheinigung, diese wollte Weissensteiner sich 1952/53 ausstellen lassen. Er ist am 24. März 1878 geboren, zu dieser Zeit schon im 75. Lebensjahr, darauf spielt Draxler an.
Man findet die Daten der Festnahme, der Haft und eines neunmonatigen Spitalsaufenthaltes. Laut einem weiteren Dokument im Dossier war Weissensteiner so schwer akut herzkrank, dass er aus der Haft entlassen werden und wegen Todesgefahr ins Krankenhaus Gmünd eingeliefert werden musste. Die Verhandlung fand demnach ohne ihn statt.
Nach seiner Genesung scheint Weissensteiner in der berüchtigten Gefangenenanstalt Landsberg in Haft gewesen zu sein!
________15.07.2018
Ende 1952, Anfang 1953 suchte Weissenteiner um Entschädigung für die wegen seiner mutigen Aussagen zum Nationalsozialismus erlittene 18monatige Haft. Ich hoffe, dass er diese noch rechtzeitig bekam. Im Index des Sterbebuches von Spital/Weitra fand ich heute diesen Eintrag:
Weissensteiner hatte kaum noch drei Jahre zu leben!3
Aufruf: Falls jemand nähere Informationen zu Pfarrer Weissensteiner hat, dann bitte ich dringend um einen Kommentar!
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1) Robert Kurij, Nationalsozialismus und Widerstand im Waldviertel. Die politische Situation 1938-1945 (Horn 1987) 94-97.
2) DÖW 13.660. Kurij zitiert in seinem Buch auch aus Vernehmungsprotokollen, dieses sind definitiv nicht mehr im DÖW-Dossier vorhanden.
3) Sterbematrik Spital <online>