Ein schöner Tag
Juli 9th, 2018im Archiv der Republik! Habe zwei Gauakte eingesehen, darin viel mehr erfahren als erwartet und deswegen fast zwei Stunden die Luft angehalten!
Es ist jetzt klar, wer der Stiefvater von Helene Jäger war und es ist klar, dass Max Fitzthum, der Nazilehrer in Weitra, einer der berüchtigten Fitzthumbrüder war, die nach dem Anschluss ordentlich abgeräumt haben. Nach 1945 hat dann einer dieser Brüder, der Rechtsanwalt Norbert Fitzthum, zufällig Helene Jäger bei ihrem NS-Verfahren vertreten.
Inhaltlich wird später davon berichtet!
Karl Zimmel aus Rottenschachen, heute Rapšach
Juli 9th, 2018Der am 25.10.1913 geborene Tischlergehilfe soll bei Wenzl Hartl („ein Haus von Hartl“) gearbeitet und nach der Niederlage von Stalingrad wegen „kommunistischer Reden“ aufgefallen und denunziert worden sein. Er soll am 19.09.1944 vom OLG Wien zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden sein.1
Genaueres werden wir beim DÖW über ihn erfahren!
Apropos Hartl: Auf deren Firmenwebsite kommen die Jahre 1938 bis 1945 in der Firmengeschichte nicht vor, wohl nicht deshalb, weil sich in dieser Zeit nichts ereignet hätte. Hartl ist gerade in dieser Zeit zum Großlieferanten von Fertigbaracken an die Organisation Todt für den Osten geworden! 1938 soll der Personalstand noch bei 50 gelegen sein, der Höchststand in der Nazizeit aber an die 600 betragen haben! Davon waren 500 Zwangsarbeiter, die in einem unweit aufgebauten Lager untergebracht waren: Franzosen, Belgier, Russen, ab Mitte 1944 auch an die 100 ungarisch-jüdische Leute.2 Man hätte jede Menge aufzuarbeiten!
Auf der Internetressource nie-wieder-gau-wien-niederdonau findet sich folgende Beurteilung der Firma:
„Die noch heute bestehende Firma Hartl - 'Hartl-Haus' in Echsenbach war ein Vorzeigebetrieb der Nazis. Geschäftsführer Ing. Karl Hartl war zugleich Bürgermeister und Ortsgruppenleiter. Damals hieß sie Fa. Wenzel Hartl, Niederlassung Echsenbach.
Hartl war ein Familienbetrieb, der von Wenzel Hartl, dem Vater von Karl, als Sägewerk gegründet wurde. Unter den Nazis blühte das Unternehmen so richtig auf: Wehrmachtssiedlungen, Kinos, Truppenunterkünfte, RAD-Lager, Parteilokale, 'Sturmheime' für die SA, Baracken für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter...“
Hartl soll beispielsweise bei der Errichtung des Truppenübungsplatzes und der Siedlung für Offiziere in Allentsteig sehr gut verdient haben.
„In Echsenbach wurden auch jüdische Zwangsarbeiter aus dem KZ eingesetzt. Einige Tote wurden irgendwo verscharrt, Nachfragen der Israelitischen Kultusgemeinde blieben nach dem Krieg erfolglos. Die Arbeiter von Hartl stellten die Kerntruppe aller Parteiorganisationen, vor allem der SA. Der Volkssturm wurde von den Betriebsleitern von Hartl kommandiert. Viele der Hartl-Nazis stammten aus Allentsteig.“3
________ 11. Juli 2018:
Hatte gestern meinen ersten Besuch im Dokumentationszentrum des Österreichischen Widerstandes. Keine Ahnung, warum ich solange gebraucht habe, dort hinzufinden.
Von Karl Zimmel liegt dort unter der Signatur 10.208 das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 29. September 1944 gegen ihn auf:
„Im Namen des Deutschen Volkes! [...]
Der Angeklagte Karl Zimmel hat während des Jahres 1943 in Echsenbach fortgesetzt öffentlich gegenüber Arbeitskameraden wehrkraftzersetzende Äusserungen gemacht und mit Kriegsgefangenen verbotenen Umgang gepflogen. Er wird deshalb zu einer Gesamtstrafe von vier (4) Jahren Zuchthaus und zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt.“4
Man erfährt in diesem Dokument, dass Zimmel tschechischer Staatsangehöriger war, verheiratet war und für drei Kinder zu sorgen hatte.
Äusserungen, die er vor seinen Denunzianten unter vier Augen machte, wurden ihm als öffentlich getan ausgelegt, weil „der Angeklagte damit rechnen musste, dass sie von den Anhörenden nicht für sich behalten, sondern weitergegeben würden".
Zimmel hatte noch Glück, denn wäre sein Fall vor den Volksgerichtshof gekommen, hätte er vielleicht das Jahr 1944 nicht überlebt. Es wäre interessant zu erfahren, was nach Kriegsende aus ihm geworden ist. Er gehörte zu den Mutigeren aus unserer Mitte!
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1) Robert Kurij, Nationalsozialismus und Widerstand im Waldviertel. Die politische Situation 1938-1945 (Horn 1987) 122.
2) Maria Theresia Litschauer, Architekturen des Nationalsozialismus (Wien 1012) 33-40. Von der selben Autorin: https://www.sammlung-spallart.at/de/sammlung/684/
3) Onlineressource: https://nie-wieder-gau-wien-niederdonau.webnode.at/echsenbach-no/
4) DÖW, Signatur 10.208.
Pfarrer Anton Weissensteiner in Großpertholz
Juli 6th, 2018Momentan steht mir als einzige Quelle dazu Robert Kurijs "Nationalsozialismus und Widerstand im Waldviertel" aus dem Jahr 1987 zur Verfügung.1 Im Lauf des Sommers hoffe ich Originaldokumente zum Prozess einsehen zu können. Vielleicht geben diese ja auch einen ungewollten Einblick in die Struktur eines Waldviertler Dorfes zu Zeiten des Autoritären.
Nach Kurij stammt Weissenteiner aus Eichberg in unserem Bezirk. In einer Predigt in Großpertholz vom 20. April 1941, am "Führergeburtstag", soll er den Niedergang des Glaubens in der damaligen Zeit beklagt haben: während man früher aufragende Burgen gebaut habe, baue man jetzt nur noch Bunker. Daraufhin sei er denunziert und in Folge das erste Mal verhaftet worden. Anscheinend wurde er bis zur Verhandlung wieder freigelassen, denn erst ein weiterer Vorfall brachte ihn in noch ärgere Bedrängnis. Von einem Schüler im Religionsunterricht verhöhnt, vergaß er jede Vorsicht und kritisierte den Nationalsozialismus fundamental, wurde dabei von Oberlehrer Karl Mödlagl belauscht und gestellt. Weissensteiner wurde wieder angezeigt, verhaftet und schließlich am 19. Dezember 1941 in Krems zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Er verbüßte die volle Strafe, musste danach Großpertholz verlassen und kam nach Spital bei Weitra. Ob er sich im Geburtsort von Hitlers Mutter wohl gefühlt hat?
________14.07.2018
Im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes gibt es das Dossier zu Weissensteiner2 noch, aber es ist nicht mehr sehr reichhaltig. Anscheinend hatte Kurij bei der Verfassung seines Buches noch mehr darin vorgefunden. Dieser Akt enthält heute hauptsächlich Dokumente, die anlässlich des Ansuchens Weissensteiners auf Haftentschädigung Anfang der 50er Jahre angefallen sind, unter anderem einen Brief vom Sekretariat der bischöflichen Klerusstellen, den ich hier gerne wiedergeben möchte, da er doch Licht auf einige Umstände wirft:
Wien, den 30. 12. 1952
Lieber Freund!
Reichlich spät, zum Glück noch nicht zu spät, bewirbst du dich um eine Amtsbescheinigung. Schicke also den Heimatschein, gleichgültig, von welcher Gemeinde er ausgestellt ist, und einen Wohnungsnachweis, der von der Gemeinde in Spital zu bekommen ist, stempelfrei nach Gmünd. Die Staatsbürgerschaft ist durch den Heimatschein ohnehin nachgewiesen. Wegen des Nachweises Deines Einsatzes für ein freies und demokratisches Österreich habe ich soeben an Deinen ehemaligen Verteidiger Dr. Saahs geschrieben. Er wird Dir schicken, was du brauchst. Die paar Schilling wirst Du ihm gerne bezahlen, da Du für jeden in der Haft verbrachten Monat 431 S erhältst. Du bist zu 18 Monaten verurteilt worden. Abgeholt hat Dich die Gestapo am 11.7.1941, Verhandlung war am 19.12.1941. Im Krankenhaus warst Du interniert von Anfang Oktober 1941 bis 1.7.1942. Diese Zeit gilt vielleicht auch als Haft. Wie lange Du in Landsberg warst, weiß ich nicht. Die Untersuchungshaft, die am 25.7.1941 begann, wird wohl in die 18 Monate eingerechnet werden. Somit hat Deine Strafzeit am 25.1.1943 geendet. Wieviel Dir erlassen wurde, weiß ich nicht. Hoffentlich hast Du noch Nachweise für die bezahlten Haft- und Gerichtskosten zur Hand.
Sobald Du die Amtsbescheinigung hast. lässt Du Dir Deine Lohnsteuerkarte von der Finanzkammer schicken und gehst mit beiden zum Steueramt behufs Abschreibung von monatlich 364 S Freibetrag. Als 70jähriger kannst Du außerdem einen Freibetrag für den Unterhalt der Haushälterin verlangen. Somit wird Deine Lohnsteuer ganz minimal werden. Schreibe, wenn Du Dich bei etwas nicht auskennst.
Glückliches neues Jahr und viele Grüße.
D F Draxler [eigenhändig]
Für die Haftentschädigung brauchte man nach dem „Bundesgesetz vom 4. Juli 1947 über die Fürsorge für die Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und die Opfer politischer Verfolgung“ eine sogenannte Amtsbescheinigung, diese wollte Weissensteiner sich 1952/53 ausstellen lassen. Er ist am 24. März 1878 geboren, zu dieser Zeit schon im 75. Lebensjahr, darauf spielt Draxler an.
Man findet die Daten der Festnahme, der Haft und eines neunmonatigen Spitalsaufenthaltes. Laut einem weiteren Dokument im Dossier war Weissensteiner so schwer akut herzkrank, dass er aus der Haft entlassen werden und wegen Todesgefahr ins Krankenhaus Gmünd eingeliefert werden musste. Die Verhandlung fand demnach ohne ihn statt.
Nach seiner Genesung scheint Weissensteiner in der berüchtigten Gefangenenanstalt Landsberg in Haft gewesen zu sein!
________15.07.2018
Ende 1952, Anfang 1953 suchte Weissenteiner um Entschädigung für die wegen seiner mutigen Aussagen zum Nationalsozialismus erlittene 18monatige Haft. Ich hoffe, dass er diese noch rechtzeitig bekam. Im Index des Sterbebuches von Spital/Weitra fand ich heute diesen Eintrag:
Weissensteiner hatte kaum noch drei Jahre zu leben!3
Aufruf: Falls jemand nähere Informationen zu Pfarrer Weissensteiner hat, dann bitte ich dringend um einen Kommentar!
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1) Robert Kurij, Nationalsozialismus und Widerstand im Waldviertel. Die politische Situation 1938-1945 (Horn 1987) 94-97.
2) DÖW 13.660. Kurij zitiert in seinem Buch auch aus Vernehmungsprotokollen, dieses sind definitiv nicht mehr im DÖW-Dossier vorhanden.
3) Sterbematrik Spital <online>
Opfer des Nationalsozialismus im Lainsitztal
Juli 6th, 2018Dieses Thema besteht aus einem Bündel unterschiedlicher Stränge, die teilweise gut, großteils weniger gut erforscht sind. Die Literatur zur Verfolgung der Juden in unserem Bezirk ist in den letzten Jahren einigermaßen vielfältig geworden. Man kennt heute die Personen und Familien um vieles besser als die Personen und Familien ihrer Verfolger, der Nazis des "Kreises Gmünd". Noch weniger weiß man über die anderen verfolgten Gruppen: Sozialdemokraten, Kommunisten, Monarchisten, Religiöse, Roma und Sinti, Kranke und Schwache, Homosexuelle, Arme, Kriegsgefangene und Ostarbeiter. Falls Ihnen noch eine Gruppe einfällt, bitte ich um Ihren Kommentar! Ich ersuche auch um Hinweise auf einzelne Opfer.
Hier soll einmal alles zusammentgetragen werden, was schon bekannt ist:
Rassisch1 Verfolgte
Ignatz Csengeri und andere ungarische Zwangsarbeiter in Rörndlwies
Religiös Verfolgte
Pfarrer Anton Weissensteiner in Großpertholz
Arbeiter
Karl Zimmel aus Rottenschachen, heute Rapšach
Anderere
Theresia Hochholdinger, Rossbruck
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1) Dass der Begriff Rasse in Zusammenhang mit Menschen unangebracht ist, ist heute Allgemeingut. Dieser Tage streicht etwa Frankreich das Wort "Rasse" aus seiner Verfassung.
Vg 7b Vr 4657/46, betreffend Neugschwandtner Josef
Juli 5th, 2018Der Akt zum Strafverfahren vor dem Volksgericht1 umfasst etwa 250 Seiten aus dem Zeitraum 21.06.1946 bis zum 28.05.1957, vom Antrag auf Strafverfolgung bis zur Amnestie 1957.
Josef Neugschwandtner saß vom 06.06.1946 bis 17.05.1947 in Verwahrungs- bzw. Untersuchungshaft, zum Teil im Gefangenenhaus II. in der Rossauerkaserne bzw. am Hernalsergürtel, bekam mit Urteil vom 09.03.1948 ein Jahr schweren Kerker als Strafe verhängt und verbüßte die restlichen 19 Tage sofort danach bis 27.03.1948 im Gefangenenhaus I. des Landesgerichtes Wien.
Aus dem Urteil:
„Der Angeklagte Josef Neugschwandtner ist schuldig in Wien in der Zeit zwischen dem 01.07.1933 und dem 13.03.1938 nach Vollendung des 18. Lebensjahres der NSDAP und der SA angehört und sich während dieser Zeit und später für die nationalsozialistische Bewegung betätigt zu haben, von der NSDAP als alter Kämpfer anerkannt worden zu sein und als eine der im § 10/1 VG.1947 genannten Personen der SA im Range eines Sturmführer angehört zu haben.
Er hat hiedurch das Verbrechen des Hochverrates nach § 58 STG. in der Fassung der §§ 10, 11 VG.1947 begangen und wird hiefür nach § 11 VG. unter Anwendung des § 265 a STPO zu
1 Jahr schwerem Kerker, verschärft durch 1 hartes Lager vierteljährlich
und gemäß § 389 STPo. zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens und Strafvollzuges verurteilt.
Gemäß § 11 VG.1947 wird der Verfall des gesamten Vermögens des Angeklagten zu Gunsten der Republik Österreich ausgesprochen.“
Neugschwandtner wurde im Verfahren durch das bekannte Büro der angesehenen Rechtsanwälte Dr. Hugo und Dr. Ernst Zörnlaib rege vertreten. Man fuhr eine breit angelegte Verteidigungskampagne: ein stilistisch perfekter Bettelbrief einer 76-jährigen, herzkranken Bergbauernmutter2, Verwendungsschreiben des St. Martiner Bürgermeisters Franz Prager und des Pfarrers Stephan Oberleitner, einschlägige, entlastende Zeugenladungen und Verweis auf angeblich vorhandene körperliche Leiden. Josef will nur pro forma SA-Führer gewesen sein, da sein Bruder ihn da hineingedrängt habe. Warum hat er dann 1938 angegeben, selbst eine SA-Sturm in Großschönau gegründet zu haben und mit diesem in der Verbotszeit sogar Waffentransporte und „Flüchtlingstransporte“ über die CSR ins Reich getätigt zu haben? Vor Gericht ist der Beschuldigte nicht zur Wahrheit verpflichtet.
Die NS-Registrierung nach dem Krieg habe er bei den Amerikanern erledigt, die Bestätigung dafür sei ihm von den Russen abgenommen worden.
Bei den Anträgen im März 1949 bzw. Jänner 1951 auf Wiederaufnahme des Verfahrens engagierte Neugschwandtner den Rechtsanwalt Dr. Walther Erich Ullmann. Diese wurden jeweils mangels entlastender Ergebnisse abgelehnt.
Endlich die Vermögensverfallsamnestie vom Juli 1956 fand auch auf Neugschwandtner Anwendung und er bekam mit Beschluss vom 24.09.1956 das für verfallen erklärte Vermögen erstattet. Es dürfte nicht sehr viel gewesen sein, denn das Haus in Oberlainsitz gehörte seiner Mutter und außer ein paar Bildern und wenigen Reichsmark hatte man bei ihm früher auch nichts zu holen gehabt.
Und mit Beschluss vom 31.05.1957 wurde noch das NS-Amnestiegesetz vom März 19573 auf ihn angewendet, die noch nicht bezahlten Gerichtskosten gestrichen und die Verurteilung aus dem Jahr 1948 vollkommen getilgt.
Josef Neugschwandtner lebte und arbeitete nach der Haft auf dem kleinen Bauernhof seiner Eltern in Oberlainsitz, verdiente freiberuflich als Kunsttischler dazu und wurde im Dorf als Restaurator bezeichnet. Er soll auch weiter mit dem jungen Schatzker aus Wien zusammengearbeitet haben. Er starb am 24. November 1992.
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1) WStLA, Vg 7b Vr 4657/46.
2) Die Mutter schreibt in diesem Brief auch, dass sie neben Sohn Paul auch ihren Sohn Adolf „irgendwo in den Steppen Rußlands unter der Erde“ habe. Wusste sie nicht, dass dieser unter neuem Namen sich nach Deutschland verabschiedet hatte?
3) BGBL. 82/1957, <online>.