Von den Haustieren im Böhmerwald.
Aus: Waldheimat. Monatsschrift für den Böhmerwald (Budweis 1929) Nr. 5, S. 73-75
Von Josef Höfer.
Sobald der holde Lenz seinen Einzug gehalten und die Fluren mit neuem Grün bekleidet hatte, begann in meinem Heimatsdorf auf den Plattetschläger Gemeindeweiden ein gar munteres Leben. Der „Hiata“ (Gemeindehirt) stellte sich am frühen Morgen am Dorfplatz auf und stieß einige Male kräftig ins uralte Büffelhorn. „Da Hiata geht,“ heißt es. Das war das Zeichen zum „Oloss'n“ (Ablassen[1]) der Kühe und des Jungviehes; nur die kleinen Kälber und die Mastochsen blieben daheim, während die Zugochsen zur Arbeit auf dem Feld verwendet wurden. Muhend traten nach und nach die Weiderinder aus den Ställen und sammelten sich zu einer ansehnlichen Herde an. Unter Peitschenknallen trieb sie der Hiata hinaus auf den grünen Plan, in die frische Au. Der schönste Weideplatz war eine große, viereckige, vom „Gejletbachl“ (Erlenbach) bis zur „Kühplatte“, einer bewaldeten Anhöhe, ansteigende Wiese, der Frontseite des Dorfes gegenübergelegen. Wenn die Pferde Rasttag hatten, durften auch sie mit den Füllen hinaus.
Das „Hiatawei“ (Weib des Dorfhirten) mit ihren Kindern hatte die Schafherde mit den Ziegen und Schweinen unter ihrer Obhut. Auch sie trieb in aller Frühe die meckernde, blöckende und grunzende Herde aus dem Dorfe hinaus auf die Brachen oder auf die minderwertigen, von den Rindern verschmähten Gemeindeweiden. Denn dort konnten die Schweine herumwühlen, wie sie wollten.
Welch ein ergötzliches Bild bot sich dem in einiger Entfernung befindlichen Beobachter, wenn die Rinder teils grasten, teils plenkelten (stießen) oder lagerten, indes die übermütigen Füllen tolle Sprünge machten oder einigemal die Herde galoppierend umkreisten, dann sich auf den Boden warfen und zappelnd auf dem Rücken wälzten.
Mittags trieb der Hiata heim, um 3 Uhr nachmittags wieder aus. Die Schaf- und Schweineherde aber blieb auch oft über Mittag auf der Weide. Wenn die Hitze arg wurde, oder die Schafbremse sie umsummte, drängten sich die Schafe enge zusammen und versteckten die Köpfe oder suchten Schatten auf. Die Rinder hatten von der Ochsenbremse „Breml“ viel zu leiden, streckten, sobald sich diese näherte, die Schwänze in die Höhe und „bieselten“, d. h. flüchteten unaufhaltsam nach dem nahen Gehölz.
Der Rasse nach gehörten die Pferde dem großen, kräftigen und ausdauernden böhmischen Landschlage an und waren der Farbe nach zumeist Braune oder Schimmel, seltener Rappen, Füchse, Tiger oder Schecken.
Die Rinder zeichneten sich weniger durch Größe und Gestalt als vielmehr durch ihre Leistungsfähigkeit als Zugtiere, sowie durch Milchergiebigkeit aus. Die vorherrschende Haarfarbe war rotbraun über dem Rücken und weiß am Kopfe, Hals, Bauch und an den Beinen. Rinder von dieser Färbung hießen „Kampln“, die einfärbig rot- braunen mit einem weißen Stirnflecken „Blasln“, die weißen, rotbraun gesprenkelten „Gansln“, die gefleckten „Scheckln“; außerdem gab es Schwarzl, Rückl, Blösl u. a.
Schafe wurden von jedem der 10 Bauern in Plattetschlag in reichlicher Menge gehalten, doch fast ausschließlich nur solche mit schwarzer Wolle, welche sich zur Erzeugung des „Duradei“ besser als die weiße eignete. Die Schweine waren hochbeinige Tiere mit großem Kopf, langem Rüssel, stark entwickelten Hauzähnen und langen, groben Borsten. Seltener gab es einfärbig weiße, graue, rote, braune oder schwarze Schweine; viel häufiger waren die zweifarbigen, und zwar solche anzutreffen, deren Vorderkörper weiß und deren Hinterteil eine der oben genannten Farben hatte. Ziegen wurden in seltenen Fällen und nur von den ärmeren Leuten gehalten. – Hunde, gewöhnlich Wächterhunde von mittlerer Größe und verschiedener Färbung, waren im Dorfe nur wenige vorhanden, destomehr die Katzen, in jedem Hause zwei oder drei. Sie verbargen ihre Jungen irgendwo im Heuboden, sodass sie oft erst entdeckt wurden, wenn sie schon eine bedeutende Größe erreicht hatten. Gänse und Hühner wurden fast in jedem Hause, Enten nur vereinzelt und Tauben von Liebhabern gehalten.
Um das Jahr 1857 wurden die Gemeinde- oder Hutweiden unter die 10 Bauern gleichmäßig verteilt. Ein jeder erhielt in der Nähe seines Hauses ein kleineres und auswärts vom Dorfe ein größeres Grundstück im Gesamtausmaß von etwa 6 Joch zugewiesen. Ein Teil von über 8 Joch wurde noch für die Schaf- und Schweineherde bis zur Abschaffung des Gemeindehirten im Jahre 1891 belassen, wo alsdann auch dieser Rest der Gemeindeweiden zur Aufteilung gelangte, sodass auf jeden Bauer noch 1200 Quadratklafter entfielen. Das alte, schon zerfallene „Hiatahäusl“ wurde im Jahre 1873 weggeräumt und dafür ein Zinshaus aufgebaut. Die Auflassung der gemeinsamen Viehhut bedeutete gleichsam einen neuen Zeitabschnitt in der Dorfgemeinde. Der Josl hatte damals einen Viehstand von 1 oder 2 Pferden, 20 bis 24 Rinder, darunter 6 Ochsen und 4 oder 5 Kühe, von 30 Schafen, 4 Schweinen und einigen Gänsen. Anderes Geflügel wurde grundsätzlich nicht gehalten. Da jede erwachsene Person als Arbeitskraft unentbehrlich war, so musste zum Vieheweiden ein eigener „Hiatbua“ bestellt werden. Die Pferde kamen nicht mehr auf die Weide, sondern es wurde für sie ein umfriedetes Stück Anger als Weide- und Tummelplatz bestimmt.
Um „Johanni“ (16. Mai) fing das „Austreiben" der Rinder auf die Weide an. Das erstemal sprangen die Tiere wie närrisch umher und der Hiatbua allein war nicht imstande, sie zu bändigen; es mussten mehrere große Leute mithelfen. Bald aber gewöhnten sich die Rinder an den täglichen Ausgang, ja sie schienen sich darnach zu sehnen. Es trat der Hiatbua in seine vollen Rechte. Mit dem Schnalzen der „Goisl“ (Geißel) und dem klirrenden Geräusch des „Ringsteckas“ (kurzer, dicker Hirtenstab, der unterhalb des Griffes mehrere, durch Schütteln zusammenschlagende eiserne Ringe angehängt hatte), wurden sie im Zaum gehalten. Ja auf diese Waffen war er stolz; er dünkte sich als Held und Kampfluft brannte in seiner Brust, besonders wenn auf benachbarter Weide ein anderer Hiatbua mit seiner Herde näherkam. Mit dem Kampfruf „Hui!“ forderten sich die Buben gegenseitig zum Messen ihrer Leibesstärke auf, ihren Mut durch Schnalzen mit der Goisl bekräftigend.
Mit der geflochtenen Garn- oder der „Riemengoisl“ (Peitsche), worin er einen „Einzug“ einzieht, wird „getuscht“ (geknallt) und dazu die Garnpeitsche oft „gschwejlzt" (mit Pech bestrichen). Oft macht er sich eine Riesenpeitsche, die „Trischlgoisl“. Der „Goislstecka“ ist ein Tannenstämmchen oder ein „Triestiner“. Meist singt der Bursche:
„Hila
hola ho,
haun jo recht guat Tag do!
Unter „guat Tag“ (gute Tage) versteht er, dass ihm das Vieh schön beisammen bleibt. Oft singt er zum Nachbar-Hütbuben hinüber:
„Hila
hola ho,
N. N. hiat uma do!“
Oft aber auch fordert er den Nachbar-Hütbuben zum Raufen auf:
„Hilo
hola ho,
Hui uma do!"
Oder er hänselt diesen:
„Hoaraf,
hoaraf,
Da N. N. geht gaunz und goar draf.“
Bekannte Hütbubenliedl sind ferner:
Uliweil
trauri sa
tuat jo toa Guad,
muaß amol lusti sa;
mocht a frischs Bluad.
Schworzi
Taubn,
weißi Taubn,
geh mit mir Federn klaubn,
i oder du, der Büffl bist du.
Hinta da Hulastaudn
schreit da Gugu,
Da Jakob hat d' Haubn verlorn, Lena, suags du.
Aber auch unter den Rindern gab es Kampflustige, welche, während ihre Hirten sich herumbalgten, gegeneinander losgingen. Waren die großen Ochsen dabei, dann entwickelte sich oft ein sehr hitziger und gefährlicher Kampf. Schon von ferne zeigten sie ihre wilde Erregung durch Gebrüll, Aufscharren des Bodens, Niederknien und Zerreißen der übergrasten Maulwurfshügel mit den Hörnern. Hatten sie sich dann auf etwa 6 Schritte genähert, so stürzten sie mit ihren mächtigen Hörnern gegeneinander los, dass es knackte und schepperte; immer mehr in Wut geratend, suchten sie, Stirn an Stirn, einer den andern fortzudrängen, wobei oft der eine oder der andere, oder beide zugleich, keuchend auf die Knie sanken. Wehe aber dem, der nachgeben und weichen musste: er wurde vom Sieger verfolgt und durch Stöße mit den scharfen Hörnern in die Weichen oder an den Schenkeln derart verletzt, dass die blutenden Wunden lange zu sehen waren, was durch Wachsamkeit des Hirten hätte vermieden werden können. Unser größter Ochs, ein „Falbl“, wurde beim Kampf an einem Auge schwer verlegt. Schon halb ausgeronnen, schien es verloren zu sein, doch der Geschicklichkeit des Tierarztes Hermann aus Oberplan gelang es, das Auge nach längerer Behandlung wieder herzustellen. Es mussten beim Ziehen im Joch zusammengehörige Ochsen die größtmögliche Ähnlichkeit in Farbe, Gestalt und Größe aufweisen und wenn einem jungen Ochsen die Hörner ungeschickt wuchsen, wurde ihm vom „Hörnerrichter“ die Hörnerschraube angelegt.
Friedlicher als die Ochsen betrugen sich auf der Weide die Kühe. Doch lugten sie während des Grasens auf der schon mager gewordenen Weide öfter begierig nach den Getreide-, Klee- und Krautfeldern aus. Hatte sich der Hirte seitab in eine Spielerei vertieft, dann schlichen sich die „Kambl“, die Gansl", die „Blösl“ und die „Rückl“ laufend zu der verbotenen Ackerfrucht und „stritteten“, d. h. fraßen hastig ab, was zu erlangen war.
Die Schafe waren, wie die Rinder und Pferde, in einem geräumigen, gewölbten Stall, in dessen Mitte eine große gemeinsame Krippe stand, untergebracht. Sie hatten schwarzes oder braunes, mitunter auch scheckiges Wollenfell, waren scheu, stritteten aber gern und leckten, so wie die Rinder, überall gierig an Stellen, die von menschlichem Urin befeuchtet waren. Im Spätherbst, nach Gallus (16. Oktober), wo sie ohne Aufsicht nach Belieben auf allen grünenden Wintersaaten der Dorfgemeinde weiden durften, denn „no Gali is nix mehr heili“, verliefen sie sich, der Führung eines Leitschafes folgend, oft derart, dass man sie des Abends, zumal, wenn dichter Nebel die Gegend überzog, lange nicht auffinden konnte. Man gab ihnen dann oft Schellen um den Hals. Zur Winterszeit wurden sie an sonnigen Tagen vom Stall in den Hof getrieben und ihnen ein Haufen Erbsenstroh vorgeworfen, woran sie eifrig naschten und knusperten. Alljährlich im Frühjahr und im Herbst wurden die Schafe zum Bach geführt, dort gewaschen und mit Bürsten abgerieben und tags darauf geschoren.
Wenn es des Morgens im Hof und in den Ställen wieder lebendig wurde, die Rinder und Schafe ihre Stimmen erschallen ließen, dann waren die Schweine am unruhigsten: sie rüttelten mit Ungestüm an der Stalltür, grunzten und quiekten unausgesetzt, bis sie ihr Futter erhielten. Sie waren so gefräßig, dass ihre eigenen Jungen in Gefahr waren, vertilgt zu werden, weshalb man sie über Nacht absondern musste. Eines der Mutterschweine aber war sanfterer Natur und warf 12 bis 15 Junge aller Farben und Zeichnungen. Es war ein buntes Durcheinander und ergötzlich, die kleinen Dinger anzuschauen: „rotarschige“, d. h. am Vorderkörper weiß, am Hinterteil rot, „grau-, braun- und schwarzarschige“, scheckige und einfärbige drängten und schoben sich quiekend und suchend hin und her. Natürlich konnte die gute alte Sau so viele Kinder nicht ernähren; es ging nach und nach die Hälfte zugrunde. Nur die stärkeren Ferkel behaupteten sich.
Da sich mit der Einbringung der Feldfrüchte auch die Mäuse zahlreich in Scheune und Getreideboden einstellten, wurden gewöhnlich zwei Katzen gehalten. Mit einer „Ofenkatze“, die sich füttern ließ und statt auf Mäusefang auszugehen, lieber auf die Ofenbank legte, hatte man nicht viel Freude.
* * *
Die Verhältnisse, wie sie hier geschildert sind, waren vor 50 Jahren in jedem Dorfe des unteren Böhmerwaldes gleich.
Es gab in jedem Dorf eine große Viehweide für das ganze Dorf, sowie eine Schaf- und Schweineweide, „d' Leimawoid“ (Lämmerweide) und jedes Dorf hatte ein aus Holzstämmen gezimmertes und mit Lehm angeworfenes Hirtenhäusel („s Hiattahaus“). Die Viehweiden wurden mit der Zeit aufgeteilt und jeder Bauer ließ sein Vieh auf die eigene Weide treiben, wozu er sich einen Hütbuben („da Hiatbua“ auch Hiapbua gesprochen) dingte, oft einen tschechischen, der zum Deutsch lernen von seinen Eltern in deutsches Gebiet gegeben wurde. Mancher Bauer, der keinen Knaben als Hüter bekam, dingte ein Mädchen, „s Hiattmeinsch.“ Die Schafweide blieb noch Jahrzehnte gemeinsam, das Schweinehüten hörte aber auf. Man trieb die Schafe auf die Weide oder Brachen. Letzter Austreibstag war, wenn kein Schnee war, Ende November zu Andreas. In der Vornacht werden „d Wuifn olossn“ – die Wölfe abgelassen, indem die Hirten mit Peitschen laut knallten. Als die Baumwolle billig eingeführt wurde, hörte die Schafzucht im Böhmerwald ganz auf, statt des Turidei[2] trug man Zeugkleider und die Schafweide wurde aufgeteilt. Die Hirtenhäuser ließ man verfallen oder räumte sie weg, oder man verwendet sie als Zinshäuser. Erst in der Kriegszeit stellten manche Bauern wieder einige Schafe ein, die mit dem Kleinvieh weiden.