Gruß aus dem Gabrielenthal! Die Zivilisation hat 1981 mit der neuen Brücke in Schützenberg ein gigantisches Tor aus grauem Beton vor das Gabrielental gesetzt. Der Verkehr braust darüber, kein Fahrzeug muss mehr hinab in die Niederung, welche die Natur früher dem Weg aufzwang. Der Verkehr ist eine gesichtslose Masse geworden, es fahren nicht mehr der Prinz von Schützenberg und der Prinz von Fürstenberg, in welcher Reihenfolge auch immer, über eine kleine Brücke, nein, es donnern Autos über eine Straße auf kirchturmhohen Stelzen. Abgehoben sein von der Natur, das täuscht diese Brücke den Menschen vor. Der Flussbegleiter stiehlt sich leise unter die schwebenden Massen durch, blickt auf und anerkennt furchtvoll die Übermacht der technisierten Gesellschaft gegenüber dem Vermögen einer einzelnen Person, auch der eigenen. Das Hochwasser des Vorjahres hat dieser Brücke nichts anhaben können. Ihre mittleren Pfeiler stehen weit ab vom Bach. Diese Brücke hält ewig. Es ist ein Wanderweg markiert. Auf Höhe der ersten Kurve der gepflasterten alten Bundesstraße führt der Weg unter die neue Brücke durch und langsam hinunter zur Lainsitz. Letzte Häuser auf der anderen Seite des sonnendurchtränkten Baches, eine Wiese. Das Flussbett ist breit, Weiden mit frischem Grün säumen es. Die Brücke vor dem ersten Wehr, die auf der Karte eingezeichnet ist, fehlt. Bis auf einige Befestigungen an den Ufern wurde sie letztes Jahr vom Hochwasser weggerissen. Sie wächst nicht von selber nach, wie das Gras oder die Weiden, die wie immer jung erscheinen. Würde man hinüber auf die andere Seite kommen, man könnte zum so genannten Opferstein gehen, der oberhalb des Bächleins liegt, das die Langfelder Ebene entwässert. Dieser Stein zieht die Menschen wegen seiner eigentümlichen Ausformungen magisch an. Von einer Schale führt eine gewundene Rinne den Stein hinab. Ich habe den Fels am Tag des Hochwassers aufgesucht, der Wachberg war verhüllt, der alte Stein schwieg, das Bächlein darunter war zu einem tosenden Bach geworden. Außer mir war keiner da, der von hier aus die Lainsitz beschworen hätte, mit ihrem Wüten aufzuhören. Gleich nach der ehemaligen Brücke mündet der Wultschaubach links in die Lainsitz. Seine Arme reichen bis Hirschenwies, Lauterbach, Harbach, bringen Wasser von Nebelstein, Fischerstein und Mandlstein. Eine steinerne Frau steht am Zusammenfluss von Hirschenwiesbach und Wultschaubach. Nach dem Ort, der ihm den Namen gibt, verlässt er die offenen Wiesen und Auen und durchdringt den Hartwald, der Wultschau und die Langfelder Ebene trennt. Licht und Zukunft 1902: Das E-Werk Das Wasser des
Wultschaubaches gerade noch nutzend ist ein Wehr errichtet. Es ist
ziemlich genau hundert Jahre alt. Durch einen Rechen wird Wasser in einen
rechts abzweigenden abgedeckten Kanal geleitet, der es mehr als 800 Meter
weit bis zu einem Elektrizitätswerk führt. Das ursprüngliche Werk wurde 1902
errichtet (1), es gehörte der Stadt Weitra. 1908, im Jahr des 60jährigen
Thronjubiläums Kaiser Franz Josephs, kaufte man einen Dieselmotor mit 40PS
dazu, um die Leistung des Gleichstromkraftwerks zu erhöhen. Der Motor bekam
seiner Bedeutung entsprechend einen Namen, der sich auf das aktuelle Ereignis im
Kaiserhaus bezog: "Jubiläumsmotor"!
Kaiser Franz Joseph wird sich sehr
darüber gefreut haben. In Weitra feierte man mit elektrischen Lampen am Schlossturm und einer leuchtende Krone mit den
Jahreszahlen 1848 sowie 1908 auf dem Rathausplatz (2). Man
bejubelte den Kaiser
und das Kommen der neuen, modernen Zeit der Elektrizität.
Bald wurde Strom bis nach Brühl hinunter geliefert, der Weltkrieg und die
Krise danach verhinderten jedoch einen weiteren Ausbau der Anlage.
Viele Erweiterungen konnten nur angedacht werden, letztlich wurden aber
doch zusätzlich Überlandleitungen nach Großschönau und Engelstein realisiert.
(3) In der NS-Zeit widersetzte sich die Stadt erfolgreich den Bestrebungen, das E-Werk an die Gauwerke zu verkaufen. 1943 beeinträchtigten Wasserknappheit und Treibstoffmangel den Betrieb des Kraftwerkes so sehr, dass die Verwendung jeglicher elektrischer Heizgeräte verboten wurde. (4) Nach dem Krieg bediente man sich an dem reichlichen Installationsmaterial unter den im Lagerhaus von der SS zusammengerafften Kriegsbeutestücken und verlegte Stromleitungen in eine große Anzahl umliegender Gemeinden. Danach verkaufte man die Leitungen an die NEWAG (NÖ. Elektrizitätswirtschafts-AG). Nur Spital und Mistelbach wurden außer Weitra vom Gabrielental aus mit Strom versorgt. 1950 übernahm der überregionale Stromversorger die Belieferung aller außerstädtischen Abnehmer, 1954 kam der Liefervertrag für die Stadt selbst zu Stande. Bundeskanzler Julius Raab, der sich für die rasche Abwicklung eingesetzt hatte, bekam für seine Verdienste im selben Jahr die Ehrenbürgerschaft Weitras verliehen. Die Maschinen wurden verkauft, die Stadt behielt nur das Gebäude des E-Werkes, den Erlös von 24.000 Schilling steckte man in die Renovierung des Rathauses. (5) Übrigens, die letzte Gemeinde Niederösterreichs, die im Jahre 1963 an das Netz der NEWAG angeschlossen wurde, war Harmanschlag. 1963 wurde schließlich auch das Gebäude verkauft. "Nachdem das Projekt, hier ein Hotel zu errichten, kläglich gescheitert war, wurde das inzwischen baufällig gewordenen Haus 1970 demoliert".(6) Die heutige Anlage wurde im Jahre 1987 neu errichtet. Sie gehört Alexander Wiesinger, der in Kamp bei Arbesbach eine Gesenkschmiede betreibt. Etwa 600 000 kWh liefert der Drehstromgenerator im Schnitt jährlich ins Netz, das entspricht einer Dauerleistung von etwa 70 KW. Der Durchfluss von einem Kubikmeter pro Sekunde und die 15 Meter Fallhöhe ergäben eine potenzielle Leistung von 110kW bei verlustloser Umsetzung. Die Turbine ist eine Francis-Spiralturbine von Voith/St. Pölten. Spuren im Bach: Schlacke Einen Höhepunkt für den Lainsitzforscher stellt die Begehung der Landzunge bei dem Wehr der Bürgermühle dar. Das Wehr ist ziemlich zerrüttet, das Hochwasser letzten Jahres hat ihm arg zugesetzt. Ich steige über die Steine und schaue, ob das Wasser etwas Interessantes angeschwemmt hat und werde fündig. Im Bach und zwischen den Steinen entdecke ich zahlreiche faustgroße Schlackeklumpen aus porösem Material. Auch rotbraune, sandige Klumpen, in denen die eingeschlossenen Quarzkörnchen noch nicht geschmolzen ist, ein Kohlestück. Alle Steine im Wasser sind von einer glitschigen, rotbraunen Schicht überzogen. Eisen! Es ist zwar nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich, dass die Klumpen vom ehemaligen Eisenwerk in Harmanschlag hergeschwemmt wurden. Hier oder knapp oberhalb, so vermute ich, wurde einmal Eisenerz verarbeitet. Wann? Vielleicht kann jemand einen Hinweis geben. Es gab eine Hammerschmiede in Schützenberg, es gab Schmiede in Weitra, doch über Eisenverhüttung im später so genannten Gabrielental konnte ich bisher nichts in Erfahrung bringen. Oder sind es Klumpen, die beim Glasschmelzen entstehen, es müsste ein Fachmann beurteilen. Park des 19. Jahrhunderts (7) Gleich nach dem Wehr kommt man zu einer Wiese mit einem Pavillon und dem ersten Gedenkstein: "Carolinen Wiese 1865" in eine Granitpyramide eingemeißelt. Eine goldene Krone auf grünem Grund über der Schrift, darunter Blumenverzierung. Der Steg, der von der Wiese auf die linke Flussseite führte, ist seit vorigem August weggerissen. "Gabrielental": Meine Mutter bekommt strahlende Augen, wenn sie dieses Wort hört. Sie denkt dabei zuerst an die Feste, die unter anderem auf der Carolinenwiese in ihrer Jugendzeit veranstaltet wurden. Es ist des weiteren ein gewisser Zauber, den das Tal durch seine Kultivierung als Park auf jeden ausübte, ein Zauber, der heute leider nur noch zu erahnen ist.
Der Park ist ein spätes Produkt der Romantik des 19. Jahrhunderts. Ein wildes Tal, Natur, gezähmt und kultiviert durch die Anlage von Wegen, Wiesen und Stegen, Bänke und Pavillons sind die Möblierung. Im Helenental bei Baden finden wir vielleicht das Vorbild. Dort wurde schon etwas früher ein Weg entlang der Schwechat angelegt, auf der Hauswiese wurden Kurkonzerte gegeben, Lanner und Strauß spielten ihre Musik. Die aristokratische Wiener Gesellschaft vergnügte sich dort über den Sommer.
Das Gabrielental ist voll von feudalen Anklängen, wenn es
auch Elemente bürgerlichen Selbstbewusstseins enthält. Wer in ihm nicht
vorkommt, das ist der Bauer. Von dem sich abzuheben, da halfen Bürger und
Edelmann brüderlich zusammen. Besonders der Weitraer Bürger, der meist enge
verwandtschaftliche Beziehungen in unzählige Bauernhäuser hat, muss seine
Nase sehr hoch tragen, damit er seine nichtstädtischen Verwandten nicht
sehen kann, falls sie ihm über den Weg laufen sollten.
Adel verpflichtet
Aber nicht nur die Stadt schaut untätig
zu, auch die Nachfahren der Herren oben auf dem Schloss lassen zu, wie der
zu ihrem Ruhm errichtete Park verfällt. Das Tal trägt den Namen von Gabriele
Fürstenberg (*1821), verheiratete Pallavicini. Die Carolinenwiese ist
benannt nach Caroline Fürstenberg (*1809), geborene Auersperg. Ihre Töchter
Theresia (*1839), Louise (*1840) und Gabriele (*1844) wurden geehrt durch die
Anlage des Theresiensteigs (1864), des Louisensteins (1864) und der
Gabrielenhöhe (1865). "Adel verpflichtet" steht als Motto über der
Familiengeschichte auf
fuerstenberg.de.
Dort findet man auch das Zitat: "Noch
heute ist Weitra im fürstenbergischen Besitz ..." Ganz Weitra?
Warum kümmert man sich dann nicht um das Gabrielental? Ja, und wenn zur Beerdigung des letzten Weitrabesitzers "über
fünfhundert Gäste aus dem europäischen Hochadel, aus Politik, Wirtschaft und
Kultur in Donaueschingen" bewirtet werden können, dann müssten doch
auch die paar Gulden für die Erhaltung des "eigenen" Parks im Gabrielental drin sein, oder nicht? Bürgerstolz gestern und heute
Es gibt auch Manifestationen bürgerlichen Stolzes in diesem Tal. In erster Linie im Obelisken für den ehemaligen Bürgermeister Dr. Johann Kordik, Der Stein mit Bildmedaillon steht seit 1891 in Stadtnähe rechts der Lainsitz. Warum gerade Kordik diese besondere Ehre zuteil wurde? Vielleicht weil er der Inbegriff eines neunen Bürgerbewusstseins war, das sich nach der Revolution 1848 ausbreitete, weil er 1850 als erster Bürgermeister von allen Steuer zahlenden Bürgern der neu konstituierten Gemeinde gewählt wurde, weil er die Stadt sicher durch schwierige Jahre führte. Der Arzt Kordik steht in auch in besonderer Beziehung zum Gabrielental selbst, "entdeckte" er doch 1851 die Heilkraft der heute nach ihm benannten Quelle, die sich oberhalb des Gedenksteines befindet.
Im Jahr 1854 setzten die Weitraer Bürger ihrem Kaiser anlässlich seiner Vermählung eine dreiseitige Pyramide mit den Inschriften "I.I. K.K. M.M. Franz Josef I. und Elisabeth", "Am XXIV. April MDCCCLIV dem Vermählungstage", "Von Weitraern gepflanzte Eichen". Nur eine der damals gepflanzten Eichen überdauerte bis heute.
Übrigens hat man, nicht zur Verschönerung des Tales, gleich neben der Vermählungseiche eine Schneise geschlagen und eine breite Rampe angelegt, auf der man von außen mit breiten Planierraupen ins Tal herein fuhr, um den Weg nach der Verwüstung durch das Hochwasser neu anzulegen. Ohne Gefühl für das Gesamtbild klotzte man an die Stelle des kleinen Wegerls im Gabrielental einen Fahrweg, der an eine Forststraße in irgend einem Nutzwald erinnert. Dass dabei von der Maschine Bäume abgeschunden und Bänke halb eingegraben wurden, nahm man in Kauf.
Dafür ist der Weg auf der linken Lainsitzseite bis zum heutigen Tag immer noch unpassierbar und auf weite Strecken vollkommen abgetragen. Wahrscheinlich hat man noch nicht geklärt, wie man mit der Planierraupe auf dieser Seite zufahren kann.
Heute legt der Bürger Wert auf gut befahrbare Wege, die schnell und billig anzulegen sind, gut. Auch auf Gesundheit wird Wert gelegt. Darum baute die Stadt 1979 einen Fitness Parcours entlang des linken Ufers der Lainsitz und sie errichtete 1982 auf der Wiese gleich bei der letzten Brücke vor der Stadt eine Kneippanlage. Dass damit die Weihe des Parks und dessen inneres Gleichgewicht zerstört wurde, das kann man einem anderen erzählen, nicht dem praktisch denkenden und mit Hausverstand ausgestatteten Bürger von heute.
Eine wirkliche Attraktion wäre das Gabrielental nur dann wieder, wenn der ruinöse Zustand der Denkmäler beseitigt und Wiesen, Stege, Bänke und Wege nach historischem Vorbild wieder hergestellt würden.
Das ehemalige Lainsitzbad
Während auf der rechten Seite der Mühlbach zur Bürgermühle strebt, schwenkt die Lainsitz links zum Hang und plätschert den ersten Häusern Weitras entgegen. Knapp vor dem Bürgerspital, dort wo das Mühlwasser wieder herein fließt, empfingen früher die Bürger Weitras badend den Fluss. Am linken Ufer stand seit 1905 das Wannen- und Dampfbad und der Bach war so weit aufgestaut, dass man in ihm schwimmen konnte. Heute und schon zu meiner Jugendzeit gehen bzw. gingen die Weitraer oben im herrschaftlichen Hausschachen zu den Karpfen baden. Bei den Forellen herunten wäre es erfrischender! Einen trägen Teich hat jeder, eine frische Lainsitz zum Baden hätte nur Weitra. Aber dem Fluss ist es auch so recht. Braucht man ihn oben in den Bauerndörfern kaum mehr zur Arbeit in den Mühlen und ist es im Gabrielental um ihn herum still geworden, so muss er auch nicht zum Badespaß herhalten. "Wer nicht will, der hat schon." Sprach's und floss rund um Weitra. __________________________________
Die historischen Fotos und Abbildungen hat dankenswerter Weise Dr. Wolfgang Katzenschlager zur Verfügung gestellt. Das eine historische Bild mit "Gruß aus Weitra" mit dem "Pavillon im Gabrielental" ist dem Buch "800 Jahre Weitra" entnommen.
www.fuerstenberg.de www.weitra.at austrianmap
Anmerkungen 1) Herwig Birklbauer und Wolfgang Katzenschlager: 800 Jahre Weitra. Mit einem Beitrag von Herbert Knittler. (Horn o.J.) S 382 2) A. a. O., S 376f 3) A. a. O., S 420f 4) A. a. O., S 431 7) Eine detaillierte Beschreibung vieler Objekte des Parks und historische Hintergründe finden sich in "Liselotte Anton: Willkommen im Gabrielental. Ein Wegbegleiter (Weitra 2001)" | |||