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Auflösung

mittel gering

Die Heimkehrerin
Die Lainsitz in Joachimstal (2002)

In Fischbach, dem vorletzten Dorf vor der Grenze, steht das Verkehrsschild: Sackgasse. Richtig, Joachimstal lag fünfzig Jahre am Ende der Welt und tut dies leider immer noch. Der Grenzübergang an der ehemaligen "Kurzen Böhmischen Straße" ist weiterhin gesperrt, Joachimstal liegt immer noch an einer geschlossenen Grenze, am Ende einer Sackgasse.

Die Straße ist gesäumt von Jungwäldern. Fichten in Reih und Glied dürften hier vor gar nicht langer Zeit auf ehemalige Weiden und Felder gesetzt worden sein. Die Lainsitz liegt nirgends frei, geht, wie es scheint, immer durch Wald, auch hier noch, nicht nur oben an der Quelle, nicht nur auf ihrem Stück als Lužnice in Böhmen. Kein Haus säumt ihren Weg. Wie Kaspar Hauser wächst sie fern von Menschen auf.

In Joachimstal stehen nur ein paar Häuser, einige davon recht heruntergekommen, keines davon dürfte wegen des Waldes Sicht zum Bach haben. Man merkt auf den Weiden dort und da Reste von alten Mauern, Steine, Ruinen. Kein Wunder, es gab Zeiten, da war der Ort eine von vielen Menschen bewohnte Siedlung!

Geschichte

Das Tal an der Grenze wurde erst in der Neuzeit besiedelt: Joachim Fürst zu Fürstenberg ließ hier 1770 eine Glashütte errichten und ein Dorf anlegen. Zehn Glaswerkstätten wurden in Betrieb gesetzt. Die Glashütte war äußerst innovativ, 1842 etwa, als Karl Stölzle aus Gratzen den Betrieb führte, feierte das hier erzeugte Bernstein- und Hyalithglas bei der deutschen Ausstellung richtiggehend Triumphe. Im Jahre 1853 wurde dennoch die Glaserzeugung eingestellt, nur die Glasschleifereien in Fischbach und Angelbach blieben -  zum Teil bis heute - erhalten. Zählte der Ort 1795 zwanzig Häuser, so waren es 1890 nur noch fünf.1 

Im zwanzigsten Jahrhundert befand sich in Joachimstal ein großes Sägewerk des Verbandes der Vereinigten Österreichischen Waldbesitzer: Es wurde 1964 stillgelegt. Soviel steht in der Bezirksheimatkunde. 2 Bei Komlosy erfährt man, dass das Sägewerk vorher dem Prager Holzhandelsunternehmen Löwy und Winterberg(*) gehört hatte, 1924 von Schwarzau hierher transferiert wurde. Es war ein Dampfsägewerk, der Fluss hätte hier noch zu wenig Kraft gehabt. Es sollen bis zu 100 Menschen hier beschäftigt, das Werk eines der größten im Oberen Waldviertel gewesen sein. "Im Gefolge der Arisierung gelangte es nach dem Krieg an den Österreichischen Waldbesitzerverband, der das Unternehmen im Jahr 1964 einstellte." 3 Neben der Vertreibung der Deutschen hat also auch der Holocaust in bestimmter Weise seine Spuren an der oberen Lainsitz, im hintersten Dorf, hinterlassen. Bin ich ausgezogen, reine Natur und Frieden zu finden, so drängt sich mir doch überall die Vergangenheit, insbesondere mit ihren unheilvollen Aspekten, ins Bewusstsein.

Grenzüberschreitende Lainsitz

Vom Forsthaus - Joachimstal 1 - aus gehe ich zum ehemaligen Grenzübergang, an dem ich letztes Mal auf böhmischer Seite umkehren musste. Ich hoffe heute an die Stelle vordringen zu können, an der die Lainsitz zurückkommt ins Niederösterreichische. Es ist nicht leicht, das Tal ist sumpfig, viele Gräben durchziehen den Wald in der Talsohle. Äste, umgeschnittene kleine, umgestürzte große Bäume, alles bleibt liegen, vermodert, zerfällt, wird von Pilzen bewachsen, wird aufgezehrt von neuem Leben. Ich erreiche den Grenzstein, die Stelle, an der die Lainsitz über die Grenze geht, wo der Bach, der aus dem Silberberger Tal heraus fließt, einmündet. Drüben die brache Wiese mit dem undurchdringlichen, mannshohen Gras, das mich zuletzt hinderte, an diese Stelle von böhmischer Seite zu gelangen. Die Wiese wird nicht immer ungenutzt gewesen sein, der Wald, durch den die Lainsitz in Joachimstal verläuft, war einst zumindest teilweise gerodet. Man kann hier beobachten, wie schnell alte Kulturlandschaft zerstört wird, wenn man sie verlässt und sie von Gestrüpp überwuchert wird, bzw. wie schnell sie zerstört wird, wenn man in den Boden Fichten in engen Abständen pflanzt und ihn für Forstwirtschaft nutzt.

Schatzkiste Bachbett

Es ist schwer, der Lainsitz weiter zu folgen. Immer wieder münden Gräben ein, die sich manchmal zu Tümpel ausweiten und weit von der Lainsitz wegreichen, man muss weit vom Fluss weg, bis man sie überqueren kann. Am besten wäre, man würde direkt im Flussbett der Lainsitz wandern. Das Wasser ist meist nicht sehr tief, mit kurzer Hose und bloßen Füßen wäre das ein Traum, wenn da nicht die Scherben wären. Welche Scherben? Der sandige Flussgrund ist übersät mit Glas- und Tonscherben, farbigen Glasklumpen. Der ganze Bach wäre eine Fundgrube für Neuzeitarchäologen! Die ehemaligen Glaswerkstätten haben hier unverkennbar ihre Spuren hinterlassen. Tatsächlich wäre der gesamte Fluss ab hier bis Gmünd eine systematische archäologische Untersuchung wert! Der  Bach ist nicht so stark, dass er alles wegschwemmen könnte, die Scherben bleiben liegen. Man findet Teile von häuslichen Gebrauchsgegenständen aus verschiedenen Zeiten, Ton, Glas, Metall. Schon eine oberflächliche Abschöpfung würde Tonnen von anthropogenem Material aus dem Wasser fördern!

Verwaiste Kohlenmeiler?

Immer wieder tauchen Spuren der ehemaligen Kulturlandschaft auf. An einer flachen Stelle, wo die Lainsitz ihr Transportgut liegen lässt, finde ich einen schönen Klumpen bläulichen Glases und viele weitere Glasstücke. An anderer Stelle wächst ein Johannisbeerstrauch, Ribisel im öden Wald!

Ich passiere zwei finstere Erdhügel unweit des Ufers, sie sehen aus wie alte verwaiste Kohlenmeiler. Holzkohle wurde in Zeiten der regen Glasindustrie in großen Mengen benötigt. Das Dampfsägewerk in Joachimstal im zwanzigsten Jahrhundert hatte natürlich auch einen enormen Kohleverbrauch. Der Wald als unerschöpflicher Rohstofflieferant war einer der Standortvorteile dieser Gegend gewesen. Holzkohle wurde auch bei der Schwarzpulvererzeugung benötigt -  in Steinbach, weiter unten am Fluss, befand sich einst eine Pulverstampfmühle! Man schichtete trockenes Meterholz zu einem Kegel, deckte diesen mit Nadelholzzweigen, lehmiger Erde und dergleichen luftdicht ab, entzündete den Meiler und zügelte nach entfachtem Brand die Luftzufuhr so weit, dass der nur noch schwelen konnte. Bis zu 14 Tage lang musste der Köhler das Verschwelen des Holzes zu Kohle präzise regulieren, gelang ihm dies nicht, so brannte im schlimmsten Fall der Meiler ab und die schwere Arbeit vieler Stunden war verloren!

Urfluss, Urwald

Die Lainsitz bestimmt auch hier selbst ihren Lauf, sie scheint nirgends reguliert zu sein. Manchmal schlägt man sich minutenlang ihr entlang, um doch wieder unweit des Ausgangspunktes zurückzukommen: Weite Mäander durchziehen das sumpfige Waldtal. Mächtige Bäume stürzen um, weil das Wasser ihnen den Boden weg gräbt, sie fallen um und verrotten. Sie werden überwuchert von Vegetation, die sie als Nährboden braucht: Pilze, parasitäre Pflanzen. Aber auch für Käfer und anderes Getier ist hier der ideale Aufenthaltsort. Schmetterlinge habe ich noch nie so zahlreich gesehen, wie auf den brachen Uferwiesen an der Lainsitz.

Tomb Raider

Der anstrengende Weg lässt einem schnaufen, die aufregende, bunte, wilde Szene macht das Herz pochen, Schweiß perlt einem über das Gesicht, Bremsen stechen, Brennnessel verätzen Arme und Beine, man versinkt in sumpfigem Boden, man rutscht ins Wasser, man zerreißt sich die Kleider an dornigen Sträuchern, man erlebt ein Abendteuer nur einige Meter von einer Asphaltstraße, von der Zivilisation entfernt. Das aufregendste an diesem Abschnitt aber war das plötzliche Auftauchen einer aus Steinen gesetzten, festen Brücke vor mir, die ich nicht erwartet hatte, die von dichter Vegetation überwuchert ist, die keinen fahrbaren Weg mehr trägt, sondern nur noch einem Pfad nützt, an dem, wie ich dann sah, der Weitwanderweg entlang verläuft. Früher dürfte über die Brücke eine wichtige Straße ins Einsiedeltal gegangen sein, der Weg überquert das sumpfige Tal künstlich mit Mauern erhöht und über eine weitere, aber kleinere, steinerne Brücke(**). Ein Stück weiter unten dann ein rückgebautes Wehr, ein stillgelegter Mühlbach, überwucherte Ruinen. Hier befand sich einst wahrscheinlich der Wasserzulauf für das große Dampfsägewerk.
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(*) P.S.: Ich fand eine Bemerkung von Franz Kafka zur Firma in einem Brief an Felice Bauer vom Februar 1913:

"Löwy und Winterberg ist freilich eine große Fa., die drittgrößte Holzhandlung Böhmens soviel ich weiß; ich hatte auch schon geschäftlich mit ihr zu tun."

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(**) P.P.S.: Sept. 2002: Die Brücken sind nicht mehr, die Hochwasser vom August haben sie restlos weggeschwemmt, eine Woche nachdem ich sie - als wahrscheinlich Letzter - fotografieren konnte.

Das blieb von der gemauerten Brücke über die Lainsitz. Die kleine Nebenbrücke, vorher und nachher. Leider ist das Foto vom Vorzustand wegen der Dunkelheit nicht besonders gelungen.

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1) Heimatkunde des Bezirkes Gmünd, hrsgg. von einer Arbeitsgemeinschaft unter Walter Pongratz und Paula Tomaschek (Gmünd 1986) S 591.
2) Ebd.
3) Andrea Komlosy: Der Fluss als Wirtschaftsfaktor. Mühlen, Sägen und Hammerwerke an der niederösterreichischen Lainsitz. In: Die Lainsitz. Natur- und Kulturgeschichte einer Region. Hrsg.: Herbert Knittler, Andrea Komlosy (St. Pölten 1997) 102-130, S. 122.
4) Kartenausschnitt mit der nicht mehr existenten Brücke in Joachimstal

Im Tal versteckt
die Lainsitz

Beam me
up, Scotty!

Grenzmarke


Heimkehr
der Lainsitz

Fallensteller
am Werk

Unweit
der Grenze

Irritierende
Szene

Urwald-
vegetation

Stimmungsbild

Urwald

Ribisel im Wald

Sandbänke

Urwald

Der Fluss bestimmt
seinen Lauf

Verwaiste
Kohlenmeiler?

Knapp
am Waldrand

Steiler Abschnitt

Urwald

Grünes Monster

Detto

Meditationsbild

Mündung des Einsiedelbaches


Tomb
Raider - Szene (*)

Der Dschungel überwuchert alles. (*)

Altes Wehr am ehemaligen Dampfsägewerk

Im Hintergrund Mauerreste

Joachimstal