MONS, QUI DICTUR ALTUS
Winterwanderung auf den Vysoká

Eine der ältesten Urkunden mit Bezug zu unserer Gegend und unserem Fluss wurde von Friedrich I. Barbarossa ausgestellt. Er regelte 1177 von höchster Stelle den strittigen Grenzverlauf zwischen dem Herzogtum Österreich und dem Königreich Böhmen. Nicht zuletzt das ungemein rasche Vordringen der deutschen Siedler nach Norden dürfte vorher zu schweren Gegensätzen zwischen den beiden zum Deutschen Reich gehörenden Ländern geführt haben. Unter Herzog Sobieslav II. waren mehrmals Böhmen in Österreich eingefallen und hatten besonders im Waldviertel Verwüstungen angerichtet. Im Jahre 1176 verzeichneten die österreichischen Annalen, dass Böhmen verbündet mit Ungarn, Polen und Sachsen in das Herzogtum Österreich eingedrungen waren. Auf den Reichstagen in Eger und Magdeburg wurde schließlich der Kompromiss ausgehandelt, der am 1. Juli 1177 fixiert wurde.
In diesem Dokument heißt es: „in superiore itaque parte utriusque terre, Austrie scilicet et Boemie, terminus est mons, qui dictur altus. Ab illo monte terminus dirigitur ad concursus duorum rivolorum, quorum unus vocatur Schremelize, alter Lusenize“. Die deutsche Übersetzung nach Johann Tomaschek lautet: „Im oberen Teil der beiden Länder, nämlich Österreichs und Böhmens, ist die Grenze ein Berg, welcher der hohe genannt wird. Von diesem Berg wird die Grenze bis zum Zusammenfluss zweier Bäche gezogen, von denen der eine Schremelize, der andere Lusenize heißt“.(1) Es gibt eine Unzahl von Auslegungsvarianten dieser beiden Sätze. Dass Lusenize sicher die Lainsitz ist und die Schremelize ziemlich sicher der Braunaubach, darüber sind sich alle einig. Aber wo ist der Berg im oberen Teil der Länder, welcher „der Hohe“ genannt worden war? In letzter Zeit dürfte man übereingekommen sein, dass es der Berg bei der Ortschaft Höhenberg sei. Aber Höhenberg klingt im Waldviertlerischen eigentlich nach „Häherberg“, ein Rabenvieher behausender Berg! Was zum zweiten Einwand führt: Der Häherberg ist ein Hügel, der sich kaum 150 Meter über das Gmünder Becken erhebt.

Vielleicht ist in der kaiserlichen Urkunde mit dem hohen Berg aber auch der gemeint, der heute immer noch so heißt – zwar auf böhmisch, aber immerhin: Vysoka. Das ist ein Berg, der diesen Namen wirklich verdient hat und dem auch zuzutrauen wäre, als allgemein bekannter Ausgangspunkt für eine Grenzbeschreibung zu dienen. Er ist der nördlichste Tausender der im Böhmischen „Gratzener Berge“ genannten Kette. Er überragt das Gmünder Becken, das bis zu seinem Fuß heranreicht, um mehr als 500 Meter! Und er bildet zusammen mit dem benachbarten Viehberg (Kraví hora) einen markanten, mächtigen, steinernen Busen, auf dem die Ortschaft Hojná Voda (Heilbrunn) wie der Blickfang eines riesigen Kolliers zur Schau getragen wird. Um im Bild zu bleiben: Die Wallfahrtskirche von Brünnl (Dobrá voda) blinkt wie ein goldener Orden von der linken Brust.

Mein winterlicher Ausflug gilt diesem Berg, der „der Hohe“ genannt wird – wie gesagt, im Tschechischen. In Heilbrunn parke ich auf dem kleinen Platz vor dem bescheidenen Hotel. Einer der mir schon vertraut wirkenden alten Mannschaftswagen aus der Zeit des Kalten Krieges ist dort ebenfalls abgestellt. Ob er vergessen wurde? Im Sommer erschrak ich noch über so ein Ding, das plötzlich vor mir im Wald an der Grenze bei Silberberg auftauchte. Heilbrunn gehörte wegen seiner Nähe zur Grenze ebenfalls zur besonderen Schutzzone, zum Sperrgebiet. Vorher ist es ein bekannter Luftkurort gewesen, der von allen möglichen hohen Herren besucht worden sei, so steht es im Informationsblatt aus Gratzen. Bilder mit deutschen Aufschriften wie „Sommerfrische in Heilbrunn. Müllers Gasthof Tel. 2“ hängen im Gastraum des Hotels.

Den Viehberg hebe ich mir für den Frühling auf. Ein Berg, an dessen Nordhang eine heilige Quelle entspringt, bei der die Gottesmutter im Jahr 1701 einem schlesischen Jungen erschienen sein soll und wo jetzt die Wallfahrtskirche steht, so ein Berg ist ein heiliger Berg, und er birgt vielleicht Geheimnisse, denen man möglicherweise im Frühling besser auf die Spur kommt, als jetzt im verschneiten Winter. Einen überraschenden ersten Hinweis auf solche mögliche Überraschungen finde ich, während ich diesen Text schreibe und dazu im Internet recherchiere, auf der Homepage des genannten Hotels: „Die Gemeinde Heilbrunn (Hojna Voda), ursprunglich genannt Vilemova hora '(Wilhemsberg), wird zwar erst im Jahre 1553 erwahnt, aber das Gebiet war schon in der Urzeit von Kelten besidelt gewesen, (...)“ Das wäre bislang der meiner Heimat am nächsten gelegene keltische Fundort, falls der Inhalt dieses Werbetextes auf Tatsachen beruhen würde!

Ich gehe die eisige glatte Straße hinauf, wo ich an einer Statue des Hl. Nepomuk den Wanderweg zum Vysoka einschlage. Es ist kalt, die Nacht war sternenklar, der Tag wird wechselhaft, doch noch spiegelt sich die Sonne funkelnd im Schnee der Wechten, die mir den Weg versperren. Ein junger Wanderer mit Rucksack kreuzt meinen Weg. Es gibt also noch andere, die diese Gegend in dieser Jahreszeit durchstreifen. Im Sommer, da wimmelt es nur so von Wanderern und Radfahrern. Ich folge lange einer Schispur auf einem asphaltierten Weg durch den Tannenwald, ja wirklich, es sind noch Tannen, die hier stehen! Ich marschiere dahin, bis mir auffällt, dass ich schon seit einiger Zeit keine Markierung des Wanderweges zum Gipfel gesehen habe, ein rot-weißes Quadrat, das diagonal geteilt ist. Ich habe die Abzweigung hinauf versäumt! Da ich schon so weit gegangen bin, will ich den Berg auf dieser Höhe halb umrunden und drüben wieder auf den Wanderweg stoßen. Der Umweg ist lohnend, mir bietet sich ein wunderbarer Blick hinüber zum Mandelstein, von wo aus ich als Kind manchmal herüberschaute in das damals verbotene Land. So komme ich auch zum Naturpark Hojna voda, der direkt an der Grenze zu Österreich liegt. Auf der anderen Seite, nur etwa zwei Kilometer Luftline entfernt hinter den Hügeln liegen Harbach, Lauterbach und Hirschenwies. Hier im Tal unter dem Westhang des Vysoka ist nur Wald. Wald, der sich zusammenhängend noch heute von hier bis vor Freistadt und fast bis hinunter zur Donau erstreckt. Ich frage mich, woran sich früher Menschen in diesen Wäldern orientiert haben mögen. Am ehesten wohl noch an Flüssen und an hohen Bergen. Der Vysoka jedenfalls ist von böhmischer Seite her nicht zu übersehen und ein leicht zu beschreibender Anhaltspunkt.

Ein ehemaliges Wachhäuschen bietet mir willkommene Rast. Einige Meter von der Staatsgrenze entfernt verschafft es mit einer Bank, einem Ofen und genügend Holz einen bequemen Unterschlupf. Rundum in Augenhöhe Fenster, wie im Wohnzimmer eines modernen Hauses, wo man ebenfalls in der Auslage sitzt. An der Decke ist ein Blech mit den Himmelsrichtungen montiert. Damit die Grenzer wussten, in welche Richtung man schießen durfte? Sever, Jih, Východ, Západ – Nord, Süd, Ost, West. Hier lag der politische Westen im geographischen Osten – wer hätte da nicht eine Orientierungshilfe gebraucht!

Der Himmel zieht sich zu, es beginnt zu schneien. Ich breche auf und gelange nach ein paar hundert Metern bei einem kleinen Häuschen mit der Aufschrift „Piket“ endlich wieder auf markierte Wege. Der hinauf zum Gipfel wird beschwerlich. Man sinkt tief in den Schnee, nach wenigen Schritten ist man schon wieder außer Atem. Zum Glück hat das Handy Empfang, man ist also nicht ganz allein. Ich suche zwar die Einsamkeit in diesen Wäldern, doch kommen manchmal Ängste auf, Angst vor einem Beinbruch etwa oder gar Schlimmerem, das mich ohne Aussicht auf Hilfe zu Boden werfen würde. Ich gehe langsamer und versuche Puls und Atem nicht zum Rasen kommen zu lassen. Ich will immer nur bis zur nächsten Markierung gehen, nehme ich mir vor, und dann wieder rasten. Doch ein anderer Antrieb ist stärker, ich will hinauf, will weiter, will endlich den Gipfel sehen, den ich noch nie gesehen habe! Hinter mir die tiefen Stapfen im Schnee, vor mir ein unberührter Weg. So leicht kann man sein Abenteuer erleben. Es kostet nichts und bringt viel neunen Raum im Gebäude der Erinnerungen.

Die Felsen sind hier aus einem anderen Material als auf dem Wachberg! Sie sind hellgrau und zeigen keine Kristalleinschlüsse, sind homogener. Sie sind auch glatter an der Oberfläche und nicht so kugelförmig abgewittert, sondern eher blockförmig, wie große Bücher liegen sie im Wald herum. Auf dem Gipfel keuchend angelangt, muss ich mich zwingen, zu verweilen. Eine große Felsengruppe liegt hier über ein kleines Plateau verstreut. Ich schaffe es, einen der größeren Blöcke zu erklimmen. Doch ringsum ist Wald, man hat, wie auf allen Gipfeln in der Gegend, in keine Richtung Aussicht.

Dann gehe ich den Weg hinunter, auf dem ich eigentlich herauf kommen sollte. Wäre da nicht die Spur eines Waldtieres gewesen, die mich führte, ich hätte den Pfad nie gefunden! Das Tier muss eine kurze Weile vor mir genau dem Wanderpfad gefolgt sein, der unter der dicken Schneeschicht nicht mehr erkennbar war. Es war ein Glück, dass ich am Morgen die Abzweigung versäumt hatte und einen vergleichsweise bequemen Fahrweg herauf gekommen war, hier hätte ich umgedreht und aufgegeben! Der Steig führt durch einen steilen Hang vorbei an mächtigen Felsen, über umgefallene Bäume und unvermutete Gräben. Aber er bietet einen herrlichen Ausblick nach Norden, ins Wittingauer- bzw. Gmünder Becken, bis weit zum Böhmisch-Mährischen Gebirgszug!

Durch Jungwälder mit kniehoher Schneelage erreiche ich endlich wieder einen Weg. Es geht hinab, mühelos gegenüber der Strecke davor. Bald erreiche ich die Stelle, an der ich vor Stunden vorbeizog und die Abzweigung verpasste. Meine Stimmung wird fröhlich: Ich habe den Vysoka im Winter erwandert! Ich laufe auf Heilbrunn zu, freue mich auch, mein Auto wieder zu sehen.

Im Hotel trinke ich ein gutes Bier um 15 Kronen. Eine Übernachtung würde 290 Kronen kosten. Also 50 Cent ein Budweiser, 10 Euro eine Übernachtung. Ein paar Arbeiter sitzen in der Stube, ein paar tschechische Familien machen Ausflug und sind hier eingekehrt. Es ist gemütlich. Ich sehe die mindestens 60 Jahre alten Bilder an der Wand: „Sommerfrische in Heilbrunn.“ Wieso eigentlich nicht? So schön und so günstig machst du nirgendwo sonst Urlaub „im Waldviertel“!


1) Nach: Heimatkunde des Bezirkes Gmünd, hrsgg. von einer Arbeitsgemeinschaft unter Walter Pongratz und Paula Tomaschek (Gmünd 1986) S 113f.

Karte mit Vysoká auf Mapy.cz

 

Auflösung hoch gering


Vysoká und
Kraví hora vom Grenzübergang Pirabruck
Die beiden von Stropnitz aus gesehen

Der Platz vor dem kleinen Hotel in Heilbrunn dient als Ausgangspunkt vieler Wanderwege Ein
vergessener (?) Mannschaftswagen aus der Zeit des Kalten Krieges

Auf dem Plateau zwischen den beiden Bergen Der Heilige Nepomuk verrät auch nicht, was in der Gegend alles passiert ist

Zu verführerisch, der Weg, der statt zum Gipfel... ...dann zum Naturpark führt

Verlassenes Wachhäuschen Mit allem Komfort

Mit guter Rundumsicht Mit Veranda

Mit geographischer Belehrung Piket

Wald Aufstieg über tief verschneite Wege
Durch endlosen, hohen Wald Am Ziel: Die Blöcke auf dem Gipfel des Vysoká

Auf dem Gipfel Messpunkt

Von höchster Stelle Beim Abstieg auf der Nordseite

Auf schmalem
Pfad
Vorbei an mächtigen Felsen

Unter riesigen Bäumen Ausblick nach Norden

Blick über Šejby zum Mandlstein Steinerner Wächter

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Heilbrunn
Bild im Gastraum des kleinen Hotels

 

Blick zurück bei der Heimfahrt